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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Haare zurückzuwerfen … durch den Schleier ihrer wirr über das Gesicht hängenden Haare starrte sie den Oberst an.
    »Ich habe immer meine Pflicht getan!« sagte sie rauh.
    »Wir haben festgestellt, daß unter den zur Entlassung bereitgestellten Inhaftierten über 70 Prozent arbeitsunfähig sind, aber von Ihnen als gesund in das Bergwerk geschickt wurden.«
    »Es war meine Norm!« schrie die Kolzwoskaja. »Sie wußten es ja so gut wie alle anderen!«
    »Ich wußte von nichts.« Oberst Denikinow zog sein Koppel gerade. »Die Entscheidungen der Lagerärztin waren unantastbar. Sie tragen allein die Verantwortung!«
    Ohne einen Gruß verließ er das Zimmer und ließ die Tür hinter sich zuschlagen. Es konnte Zufall sein, aber auch ein deutliches Symbol.
    Wanda Kolzwoskaja lehnte an der Wand. Sie ballte die Fäuste, schleuderte sie vor und hieb mit ihnen durch die Luft.
    »Hund!« schrie sie grell. »O du Hund!« Und dann leiser, vergehend in ein Weinen: »Ich wollte es ja nicht … Aber keiner liebt mich … keiner … keiner …«
    Vor dem Fenster knirschten Schritte über die Straße. Viele Schritte. Sie wagte nicht, hinauszusehen, aus Angst, man könne sie im Fenster steinigen.
    *
    In Alma-Ata entwickelte Tschetwergow nach der amtlichen Bestätigung vom Tode Stalins eine rege Tätigkeit. Abgesehen von den ›spontanen Trauerbeweisen‹, die er in ganz Kasakstan organisierte und die Konjew sehr Kopfzerbrechen machten, denn seine Bauern waren eher bereit, vor Freude zu flaggen, als eine Sonderschicht zu Ehren des großen Väterchens zu machen, ließ sich der Distriktsowjet alle Listen kommen von Sträflingen, die in den letzten drei Jahren wegen antistalinistischer Umtriebe verurteilt worden waren und die unter Umständen noch leben konnten.
    Um die Akte Boris Horn kümmerte er sich besonders. Er fuhr zum NKWD und versuchte, den Totschlag an Borkin als ›Ausdruck tiefster Verachtung gegen einen schleimigen Stalinfreund‹ hinzustellen.
    »Es war eine rein politische Tat, Genossen!« rief Tschetwergow voller Überzeugungskraft. »Dieser Boris ist ein Vorkämpfer des neuen Kurses, der jetzt in Moskau an die Spitze kommt! Er erkannte früher als wir, daß das Ansehen unserer Partei durch die stalinistische Vetternwirtschaft ruiniert wurde! Er hatte einen weiten Blick, das Brüderchen Boris!«
    Der NKWD in Alma-Ata saß kopflos da. In wörtlicher Hinsicht zudem, denn der Leiter der politischen Polizei hatte sich erschossen, als er erfuhr, daß hinter Malenkow breit und behäbig lächelnd Chruschtschow wartete.
    »Es geht alles von Moskau aus«, sagte der Kommissar hilflos zu Tschetwergow. »Warten wir ab, wie der Fall Boris Horn verläuft.«
    »Was hat Moskau damit zu tun?« stöhnte Tschetwergow. »Ihr seid zu träge, Genosse! Damals wurde Brüderchen Boris hurtig-hurtig eingesperrt … nun geht hin und holt ihn ebenso hurtig auch wieder aus Ust-Kamenogorsk zurück! Der Wind hat sich gedreht, Genosse.« Er wischte sich den perlenden Schweiß von der Stirn. Wenn in Moskau bekannt wurde, daß Boris Horn und mit ihm der ›Fall Borkin‹ die größte Blamage Tschetwergows gewesen war, würde kein Hund mehr in Alma-Ata und ganz Rußland sein Bein an Tschetwergows Hosenbein hochheben … so völlig armselig würde er sein. »Wir haben uns geirrt … dafür sind wir arme Menschlein. Aber noch kann man diese Irrtümer reparieren und so gut tapezieren, daß sie keiner sieht. Auch Moskau nicht. Man muß nur schnell handeln. Laßt den Boris Horn frei.«
    »Wenn er noch lebt …« Der Kommissar des NKWD wiegte den Kopf. »In Ust-Kamenogorsk … Genosse, das ist ein faules Ei. Dort war bis gestern die Kolzwoskaja Lagerärztin! Die war erst zufrieden, wenn sie den Tod feststellen konnte.«
    »Aufhängen, das Aas!« sagte Tschetwergow in ehrlicher Empörung.
    »Wir haben sie zur Sanitätszentrale nach Moskau zurückbeordert.«
    »Bravo! Und nun gebt Boris heraus.«
    »Wir wollen sehen. Ich spreche nachher mit dem Lager III/2398. Wenn er noch lebt –«
    »Machen Sie mich nicht unglücklich, Genosse!« Tschetwergow tupfte sich wieder den Schweiß vom Gesicht. »Ich habe drei Kinderchen und ein liebes Frauchen … Boris muß wieder her! Er ist mein Aushängeschild gegen Stalin!«
    »Ich wünschte, ich hätte auch eins, Genosse.«
    »Verkriechen Sie sich hinter die Befehle aus Moskau.«
    »Es ist nur eine Frage, ob man es uns glaubt …«
    Eine Stunde später sprach Tschetwergow telefonisch mit Ilja Sergejewitsch Konjew in

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