Der Himmel über Kasakstan
aber nicht weiß, wo sie steckt.
Im Arbeitszimmer saß Tschetwergow in einem der Korbsessel, die Borkin selbst aus Moskau mitgebracht hatte, und fächelte sich mit einem weißen Seidentaschentuch, das ihm seine süße kalmückische Sekretärin zum Geburtstag geschenkt hatte, Luft zu. Es war schwül in dem großen, gläsernen Raum.
»Es wird ein Gewitter geben«, sagte Boris. Es war das erste, was er bisher gesagt hatte. »Wir können es gebrauchen. Die Sonne war zu lange gut.«
»Sie sprechen in prophetischen Bildern, Genosse«, sagte Tschetwergow und tupfte sich über die gelbe, faltige Stirn. Er sieht wirklich wie ein mumifizierter Affe aus, durchfuhr es Boris.
»Wieso?« fragte Boris.
»Es wird ein Gewitter geben. Aber Sie dürfen sich nicht beklagen: Sie haben es herbeigelockt.«
»Der Fragebogen?«
»Nicht allein! Wir haben festgestellt, daß Sie nicht einmal die innere Würde aufbrachten und den Antrag stellten, sowjetischer Staatsbürger zu werden.«
Boris starrte Tschetwergow an. »Das ist doch ein Witz, was Sie da sagen, Genosse«, stotterte er. Er hatte an alles gedacht, aber dieser Schlag aus dem Dunkel machte ihn einen Augenblick wehrlos. »Ich bin in Rußland geboren –«
»Wo Sie geboren sind, ist uninteressant. Ihr Vater hat – als er von Hitler gerufen wurde und mit fliegenden Fahnen nach Deutschland zog, die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen! Für sich und seine Familie! Auch für Sie, Boris! Und Sie haben, als Sie zurück nach Rußland gebracht wurden, es nicht für nötig gehalten, diese Tat Ihres Vaters zu annullieren und wieder unsere Staatsbürgerschaft zu beantragen.«
»Ich wußte ja von nichts, Genosse!«
»Sie waren zu träge, Boris Horn! Sie dachten: Ach, es geht auch so! Die dummen Russen. Diese Halbaffen! Aber ich, der Deutsche, der Mensch aus der Herrenrasse, ich werde sie ausnützen und mich emporschwingen zu einem kleinen Bojaren. Ich werde ihnen zeigen, den stinkenden Muschiks, wie ein deutscher Herr ist!« Tschetwergow ließ sein Taschentuch fallen, er hatte sich in ehrliche Empörung geredet. »Aber nun ist das vorbei, Boris Horn! Es dauert lange, bis man in Moskau etwas merkt. Aber hat man es gemerkt, dann gibt es kein Entrinnen mehr! Dann werden die Schulden bezahlt!« Tschetwergow hatte den letzten Satz gebrüllt. Er verschluckte sich fast, als er Erna-Svetlana in der Tür stehen sah.
»Wir haben doch keine Schulden, nicht wahr, Bor?« sagte sie. »Man muß Sie falsch beraten haben, Tschetwergow.«
Der Tatare kaute an der Unterlippe. Drei Kinder hat sie schon, dachte er. Und wie schön sie ist! Es ist, als sei sie von Kind zu Kind schöner und reifer geworden. Aber sie ist eine Deutsche, verdammt noch mal!
»Was soll das Weib hier?« fragte er gröber, als ihm zumute war. Boris blickte sich um.
»Sie kann jetzt hören, was hier gespielt wird«, sagte er. Seine Stimme war belegt vor Erregung. »Einmal muß sie es ja doch wissen.«
»Sie weiß es noch nicht?«
»Nein.«
Tschetwergow sah zu Erna-Svetlana hinüber. Sie lehnte an dem Türrahmen und blickte voller Verwunderung die Männer an. Noch verstand sie nichts von dem, was sie sprachen. Die Politik ist ein Verbrechen, durchfuhr es Tschetwergow. Und wenn man sie ausnützt für eigene Zwecke, ist das eine Sauerei. Beruhigend ist nur, daß ich damit nicht allein stehe, sondern die Politik immer mit einer Sauerei verbunden ist. Man darf das zwar nicht sagen, weil es die hohen Herren nicht gerne hören … aber es ist beruhigend, es zu denken und damit eine gewisse Skrupellosigkeit zu rechtfertigen.
»Ihr werdet die Datscha verlassen«, sagte er hart.
Dabei sah er Erna-Svetlana an. Sie zuckte nicht zusammen, sie schrie nicht auf, sie veränderte nicht einmal ihre Haltung. Nur war es ihm, als höbe sich ihr schmaler Kopf um ein paar Millimeter.
»Gut«, sagte sie laut.
»Gut?« Boris war aufgesprungen. Er zitterte über den ganzen Körper. Für die Roheit Tschetwergows hätte er ihn erschlagen können. Mit geballten Fäusten stand er vor dem kleinen Tataren. »Das ist ein Verbrechen!«
»Moskaus Befehle sind nie Verbrechen, Genosse!« sagte Tschetwergow rauh. »Sie haben für Deutschland optiert!«
»Ich bin betrogen worden!« schrie Boris.
»Aber es glaubt Ihnen keiner. Nur die Tatsache, daß Ihre Unterschrift unter dem Antrag steht, gilt! Wie sie dahin kommt, ist Moskau gleichgültig. Im übrigen wollen wir nicht diskutieren, sondern feststellen: In vier Tagen kommen die neuen Pächter.«
»Wer
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