Der Himmel über Kasakstan
Menschen dort vorne den Tod zu geben, der wert war des Betruges, den er an Borkin beging.
Er sollte langsam sterben. Ganz langsam. Was ist eine Kugel für eine solche Qual, wie sie Borkin erlitt?! Ein Knall, ein kleines Pulverwölkchen, vielleicht noch ein Aufschrei, das Emporwerfen der Arme – warum werfen bloß alle die Arme hoch, wenn sie getroffen werden, dachte Borkin –, das alles ist so simpel, so schnell, so perfektioniert, daß es sich nicht lohnt, an einen solchen bequemen Tod zu denken. Nein – wer Rußland kennt, weiß auch, welch herrliche qualvolle Tode dieses Land zu bescheren weiß.
Da gibt es die Wölfe in der Taiga … da gibt es die Bären in den Schluchten des Alataus … da gibt es den Hunger und den zum Wahnsinn treibenden Durst in den Wüsten von Muju-kum am Rande von Kirgisistan.
Borkin lag im Gras und lächelte. Es war ein grausames Lächeln. Ein verzerrtes Lächeln. Er schwelgte in Rache.
Und er zitterte und fror wieder, als er sah, wie Boris den Arm um Svetlanas Schulter legte und sie wieder küßte.
*
»Ich habe immer an das Pferd denken müssen, Bor.«
Erna-Svetlana lag im Gras, die Arme unter dem Kopf gekreuzt. Das goldene Pferd stand hinter ihr und zupfte an den Gräsern. Sie sah in den blauen Himmel und die ziehenden weißen Wolken und lächelte, als sich der Himmel verdunkelte und vor das Blau sich das Gesicht Boris' schob.
»Nur an das Pferd, Svetla?«
»Nur –«
»Wie schlecht du lügen kannst.« Er beugte sich tiefer über sie und tippte mit der Fingerspitze auf ihre Nase. »Man sieht es dir an. Zum Lügen muß man geboren sein.«
»Und woran hast du gedacht?«
»An die verschwundenen Schafe.«
Svetlana richtete sich auf. »Dir sieht man nicht an, daß du lügst. Du bist also der geborene Lügner …«
Sie lachten miteinander wie fröhliche Kinder. Es war alles ganz anders zwischen ihnen als sonst bei jungen Menschen, die in sich die erste Liebe entdecken. Sie sahen sich nicht verklärt an, sie philosophierten nicht, sie sprachen nicht von Liebe oder Sehnsucht oder Glück … sie lagen auf dem Rücken, sahen in den Himmel und schwiegen lange. Ihre linke Hand lag in seiner rechten Hand; sie lauschten auf das leise Schnauben des goldenen Pferdes, auf das Brummen der Rinder und das Blöken der Schafe im Steppengras, auf das jubelnde Hochsteigen der Lerchen und den Flügelschlag des Bussards, der vom nahen Wald über die Steppe strich und nach Mäusen suchte.
Nicht weit von ihnen lag Borkin und verging vor Qual. Jedes Lachen war wie ein Faustschlag, jedes Wort, das er halblaut vernahm, das zu ihm herüberwehte und das er nicht verstand, war ein Stich in seiner Brust und nahm ihm den Atem weg, als versage das Herz.
»Was hast du für Pläne?« fragte Erna-Svetlana. Sie drehte den Kopf zur Seite und sah Boris an.
»Pläne? Gar keine.«
»Ein jeder Mensch muß doch Pläne haben.«
»Wozu?«
»Für sein Leben.«
»Unser Leben ist vorgezeichnet … es läuft wie der Zug auf den Schienen. Und wir sitzen in diesem Zug, sehen hinaus auf die vorbeigleitende Landschaft und kommen einmal an eine Station, wo es heißt: Aussteigen! Ende! – Die Schienen legen andere, die Weichen stellen andere, sogar die Geschwindigkeit des Zuges bestimmen andere. Wir dürfen nur mitreisen. Warum Pläne machen, Svetla?«
»Willst du denn ewig in Undutowa bleiben?«
Boris nickte. Er richtete sich auf und setzte sich.
»Wenn es Moskau befiehlt –«
»Ich möchte weg von hier!« Sie sagte es so fest und hart, daß Boris verwundert auf sie hinunterblickte. »Ich möchte in die Stadt.«
Er schüttelte den Kopf. »Vergiß nicht, daß wir Ungeziefer sind. Deutsche! Deutsche mitten in Rußland, an der Grenze zur Dsungarei. Rechtloser als die Rechtlosesten, verachteter als die Ausgestoßenen. Weißt du, was Sirkow gestern zu mir sagte: ›Du bist ein Mensch, weil du aussiehst wie ein Mensch. Aber für mich und für uns Russen und Bolschewisten alle bist du eine Wanze, die wir ernähren und fett machen, um später das Vergnügen zu haben, beim Zerquetschen zwischen Daumen und Zeigefinger möglichst viel von deinem Blut spritzen zu sehen.‹ Das sagte Sirkow.«
Erna-Svetlana zog schaudernd die Schultern zusammen.
»Wer ist Sirkow?«
»Der Dorfsowjet von Undutowa.«
Sie setzte sich auf und tastete nach seiner Hand. »Manchmal habe ich Angst, Bor, vor diesem Leben. Manchmal glaube ich, daß das alles gar keinen Sinn hat.«
»Es hat auch keinen Sinn, Svetla.«
»Und doch leben wir.«
»In
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