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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Rußland leben Millionen ohne Sinn. Sie werden geboren, und sie sterben, früher oder später, geduldig oder gewaltsam, und sie alle wissen nicht, warum sie auf der Welt waren.« Boris Horn erhob sich. Das goldene Pferd kam näher und rieb die schwarzen Nüstern an seiner Lederjacke. »Damals, als Vater und Mutter noch lebten –«
    »Nicht davon sprechen, Bor.« Erna-Svetlana streckte bittend die Arme aus. »Nicht mehr von früher sprechen.«
    »Damals hatte das Leben noch einen Sinn, Svetla.«
    »Weißt du das so genau?«
    »Vater sagte es immer: Jetzt arbeite ich und weiß, wofür. Das ist das Schönste, was ein Mann sagen kann!«
    »Und was ist übriggeblieben?«
    Boris Horn sah über die Steppe. Er schwieg, aber seine Backenknochen drückten sich durch die Haut. Er sah trotzig aus, wild, ungebändigt … schön, empfand Svetlana.
    »Nichts!« sagte er nach einer Weile. »Nichts.«
    »Doch!«
    »Was denn?« Er fuhr herum.
    »Ein goldenes Pferd, und Boris und Svetlana … Das sollte genug sein für ein Leben.«
    Er legte den Arm um ihre Schulter. Über sein Gesicht glitt ein Schein innerer Freude. Wie reif sie ist mit ihren fünfzehn Jahren, dachte er. Viel reifer als ich. Macht es, weil sie so viel gesehen hat vom Leben … so viel, wie andere Menschen nicht in einem ganzen langen Leben sehen?
    »Das ist genug«, sagte er. »Ein Pferd und zwei Menschen … Eigentlich sollte man wirklich an die Zukunft glauben.«
    »Tue es, Bor.«
    »Es ist ein Glaube ins Dunkle hinein.«
    »Das ist jeder Glaube.«
    »Und woran soll ich glauben?«
    »An uns! Ist das nicht eines Glaubens wert? An uns, Bor! An unsere Liebe –«
    Sie verstummte, erschrocken, das gesagt zu haben. Sie wich zurück, aber er hielt sie fest und zog sie wieder zu sich heran. Mit großen leuchtenden Augen sahen sie sich an.
    »Du hast Liebe gesagt, Svetla«, sagte er leise.
    Sie nickte. »Ja, Bor –«
    »Weißt du, was das ist?«
    »Nein –« Sie lächelte ihn fast hilflos an. »Weißt du es, Bor?«
    »Nein. Aber es muß das sein, was wir jetzt empfinden …«
    »Dann ist es etwas Herrliches, Einmaliges, Bor. Dann ist es das, wofür es sich lohnt, zu leben.«
    »Oder zu sterben.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Wir wollen leben , Bor!«
    »Wenn wir es dürfen, Svetla –«
    »Wir werden uns das Recht dazu nehmen, Bor!« Ihre Stimme wurde laut, leidenschaftlich und hell. »Wir werden es uns einfach nehmen! Einfach nehmen!« Sie warf sich an seine Brust und umklammerte ihn, als ertrinke sie an ihren Worten und an der Flut ihrer plötzlichen Leidenschaft. »Wir werden uns die Zukunft nehmen, und wenn wir sie uns stehlen sollten wie ein Fuchs oder an uns reißen wie ein Wolf seine Beute. Aber wir werden sie haben! Wir werden es, Bor!«
    Es war der Augenblick, in dem der im Grase liegende Iwan Kasiewitsch Borkin weinend vor Wut sich entschloß, Boris Horn von den Bluthunden seiner Datscha zerreißen zu lassen.
    *
    In Undutowa traute Serge Sirkow seinen Augen nicht, als Borkin sein Haus betrat und ohne ein Wort zu sagen, einen Tausendrubelschein auf den dreckigen Tisch legte.
    »Was soll das, Brüderchen?« fragte er dumm. Er betrachtete den Tausendrubelschein, als läge er unter Glas in einem Museum.
    »Interessiert dich das Geld, Sirkow?« Borkins Stimme war rauh und laut. Sirkow hob die schmalen Schultern in der geflickten Wolljacke.
    »Dafür arbeitet unsereiner eine lange Zeit, Genosse.«
    »Du kannst es von heute auf morgen haben.«
    Serge Sirkow schielte zu dem Geldschein hin und dann zu Iwan Kasiewitsch Borkin. Irgend etwas stimmt hier nicht, dachte er richtig. Der gute Iwan wirft mit dem Geld nicht herum, das er sich durch seine Hymnen auf Väterchen Stalin verdiente. Vor allem, wo Genosse Chruschtschow und Genosse Malenkow im Hintergrund stehen und auf den letzten Seufzer Stalins warten wie die Hebamme auf die Entbindung.
    »Was soll's Iwan Kasiewitsch?« fragte er leichthin.
    »Ich benötige einen Dienst von dir … einen Liebesdienst gewissermaßen.« Bei dem Wort Liebe verzog Borkin das Gesicht. Es war ihm, als habe er Galle aufgestoßen.
    »In Undutowa? Wohnen Sie nicht im Revier von Konjew, Genosse Borkin?«
    »Iljitsch Sergejewitsch ist ein Rindvieh!«
    Über Sirkows Gesicht zog ein Lächeln, breit wie die Wolga.
    »Ein wahres Wort, Genosse. Wie so etwas Dorfsowjet werden kann. Armes Judomskoje.«
    Er hob den Blick gegen die alte Balkendecke seiner Stube und musterte die Spinnweben, die vom letzten Winter noch in den Wandecken hingen. Das lenkte

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