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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fort, aber langgezogen und nun nicht mehr überhörbar.
    Andreij erbleichte.
    »Das ist es! Es ist wahr!« Er stieß das Fenster zu, griff neben der Tür in den Gewehrständer und riß eine seiner Partisanenflinten heraus. Er lud sie durch und öffnete die Tür. »Komm, Bor!« sagte er heiser. »Heulende Wölfe vertreiben den Schlaf. Man rottet sie aus.«
    Sie verschlossen die Hütte und ließen die schlafende Svetlana allein zurück. Es war gefahrlos, denn den neuen Weg kannte niemand außer ihnen.
    »Es kommt vom Waldrand her, vom alten Weg«, flüsterte Boborykin, als sie durch den Sumpf vorwärtsschlichen. »Welch ein Glück, daß wir so gut gearbeitet haben.«
    »Boborykin!« flog der Ruf wieder durch die Nacht und den Schilfwald. Jetzt klarer, näher, deutlich vernehmbar.
    »Der Satan hole dich«, knurrte Andreij. »Es kann eine Falle sein. Aber sie locken mich nicht heraus! Haha! Ich werde sie abschießen wie Wildtauben oder Schneegänse!«
    Er stellte sich breitbeinig in das Schilf und brüllte durch die Nacht.
    »Geht weg und laßt mich in Ruhe!«
    »Du hast den Weg weggenommen!« rief die weibliche Stimme zurück. »Ich bin Natascha Trimofa.«
    »Wer's glaubt, ist ein Idiot!« schrie Boborykin zurück.
    »Sie ist es wirklich!« Boris griff Andreij am Arm, aber der Riese schüttelte ihn ab. »Sie ist geflüchtet.«
    »So etwas gibt es in 100 Jahren zweimal!«
    »Boborykin!« rief die Stimme. »Ich sitze im Sumpf fest. Ich bin den alten Weg gegangen. Ich versinke langsam! Komm! Boborykin! Hörst du mich?«
    »Teufel! Teufel!« Andreij kratzte sich wieder den Kopf. »Es kann eine Falle sein! Bleib hier, Brüderchen. Ich gehe allein. Wenn du es schießen hörst, lauf zurück zur Hütte und weck Svetlana. Ihr seid sicher auf der Insel. Ich werde den neuen Weg nie verraten.«
    »Ich gehe mit«, sagte Boris fest.
    »Du bleibst! Wenn es Natascha ist, glaube ich wieder an Wunder –«
    Boris hockte sich im Schilf nieder und wartete. Ab und zu hörte er die weibliche Stimme und die Rufe Boborykins, der sich durch den Sumpf vorwärtstastete. Dann war es still … die Frösche quakten wieder, eine Eule, die ihr Nest in den alten Weiden haben mußte, strich flügelschnatternd über ihn hinweg. Ganz in der Nähe schrie wieder ein Biber und platschte ins Wasser.
    »Genossin Ärztin!« hörte er plötzlich den lauten Ausruf Boborykins.
    Da erhob er sich und ging zurück zur Hütte.
    Er traf Svetlana wach an. Sie saß am Tisch hinter der blakenden Öllampe.
    »Natascha ist zurückgekommen«, sagte er. »Jetzt werden wir mehr erfahren.«
    »Was sollen wir erfahren?« antwortete sie langsam. »Wir werden nie mehr hier herauskommen. Wir sind für die anderen Menschen da draußen gestorben.«

*
    Zwei Monate blieben sie noch in der Hütte mitten im Sumpf.
    Dann sagte Boborykin zu Natascha Trimofa: »Es könnte jetzt gelingen, Genossin Ärztin. Konjew denkt nicht mehr daran, auf der Datscha ist ein neuer Pächter aus Gorkij, Tschetwergow hat einen Orden bekommen, weil er Fedja als Mörder Borkins überführte … es ist alles in bester Ordnung.«
    Natascha Trimofa saß über einer Karte, die Boborykin von Balchasch mitgebracht hatte, und fuhr mit ihrem dürren, langen Zeigefinger eine imaginäre Straße ab.
    »Es bleibt uns nur der Weg zur Dsungarei«, sagte sie nachdenklich. »Von dort müssen wir durch Tibet zum Pamir und über das Gebirge hinweg nach Indien. Erst dort sind wir in der Freiheit!«
    »Ein verrückter Plan!« Boborykin sah dem dürren Finger der Trimofa nach. »Es sind Tausende von Werst bis zur indischen Grenze. Ihr werdet nie durch Tibet kommen!«
    »Weißt du einen anderen Weg?«
    »Nein! Es sei denn, ihr bleibt hier.«
    »Wir wollen unser Leben nicht als Sumpfratten beschließen.« Natascha Trimofa sah auf die große Karte. »Ich hätte diesen Weg schon längst gemacht, nur der Haß gegen Borkin hielt mich zurück. Jetzt ist der Weg frei!«
    »Und wie sollen wir es schaffen?«
    »Wir haben unsere Pferde. Wenn Dschingis-Khan auf dem Rücken seines Pferdes die halbe Welt eroberte, wird es möglich sein, mit einem Pferd in die Freiheit zu reiten.« Natascha Trimofa legte ihren Finger auf die indische Grenze. Gilgit stand da … der Name einer Stadt inmitten riesiger Bergketten. »Wir haben nur zu gewinnen … verloren haben wir bereits alles.«
    »Die Pferde können kaum noch laufen!« Boris' Miene drückte Ratlosigkeit aus. »Seit drei Monaten sind sie wenig bewegt worden, nur immer rund um die Hütte herum.

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