Der Himmel über Kasakstan
Sie halten einen solchen Ritt nicht durch. Sie haben das schlechteste Futter bekommen, das je ein Pferd auf der Welt zu fressen bekam. Seht euch nur das Fell meines ›Goldenen‹ an … es ist stumpf und voller Flecken. Er wird zusammenbrechen nach 30 Werst!«
Natascha Trimofa faltete die Karte wieder zusammen und steckte sie in den Blusenausschnitt. »Ich habe auch gehungert. Ich bin zu Fuß von Alma-Ata bis Undutowa gelaufen, immer des Nachts, weil am Tage die Polizei, die Soldaten und die Spitzel jede Straße und jeden Winkel kontrollierten. Als ich hier ankam, als ich den Waldrand erreichte und in den Sumpf ging, kroch ich fast auf allen vieren wie ein Lurch. Aber ich kroch … ich kam weiter … ich gab nicht auf!« Sie sah Boris hart an. »Wir werden die Pferde zwingen, nicht müder zu sein als der Mensch!«
Systematisch begannen sie mit den Vorbereitungen.
Boborykin besorgte Fleisch, das sie in Pökellake legten. Erna-Svetlana buk Brot und harte Zwiebäcke in dem steinernen Backofen, den Boris hinter der Hütte baute und für den Boborykin mit einem Pferd die Steine außerhalb des Sumpfes und am See aufsammelte.
Am schwierigsten war es, die Pferde zu bewegen und wieder an langes Laufen zu gewöhnen. Jede Nacht führten Boborykin und Boris zwei Pferde über den versteckten Knüppeldamm auf das feste Land und ritten die ganze Nacht hindurch durch die Steppe und die Wälder, jagten die Pferde, bis sie prustend und schweißnaß, erschöpft und zitternd an den Bäumen lehnten. Aber die Lungen wurden wieder kräftiger, die Muskeln strafften sich.
Drei Wochen lang arbeiteten sie Tag und Nacht. Die wenigen Stunden Schlaf, die sie sich gönnten, waren kaum eine Unterbrechung der schweren Arbeit. Die Körper standen genauso müde auf, wie sie sich hingelegt hatten. Aber es war kein sinnloses Schaffen, das sahen jetzt Boborykin und Boris ein.
»Übermorgen nacht ist es soweit«, sagte Natascha Trimofa an einem Abend, als sie um den Tisch saßen und aßen. »Morgen werden wir den ganzen Tag schlafen und an nichts denken. Das muß ausreichen bis zur indischen Grenze.«
»Es wird einsam sein bei mir.« Boborykin starrte auf sein Glas mit Wasser verdünntem Wodka. »Ich habe mich so an euch gewöhnt, Freunde.«
»Dann komm mit, Andreij.«
Boborykin schüttelte den Kopf. »Was soll ich ohne meinen Sumpf, Natascha Trimofa? Da draußen sind mir zuviel Menschen.«
»Auch daran gewöhnt man sich.«
»Ich brauche Luft zum Atmen, Schwesterchen. Ich würde ersticken unter all den anderen Menschen. Aber ich begleite euch bis Alatau.« Er stand auf und wischte sich über die Augen. »Wenn ihr die Freiheit erreicht, vergeßt nicht den Andreij.«
»Bestimmt nicht, Bruder«, sagte Boris feierlich.
Mit zuckendem Gesicht verließ Boborykin die Hütte und stellte sich draußen in die Nacht.
*
In diesen Tagen kam auch Stephan Tschetwergow wieder einmal zu Besuch bei Iljitsch Sergejewitsch Konjew.
»Offiziell oder privat?« fragte Konjew, als Tschetwergow in das Haus trat.
»Ist das ein Unterschied, Genosse?«
»Ein großer, Brüderchen. Dienstlich ist nämlich in Judomskoje gar nichts los. Hier geht alles wie geschmiert. Die Sowchose ist mit der Ernte fast fertig, die deutschen Bauern haben das Land mit einer Gründlichkeit kultiviert, die jede Norm sprengt, die Kinder sind echte Russen und sprechen kaum ein Wort Deutsch bis auf ›Mist‹ und ›Rindvieh‹. Das müssen zwei deutsche Standardworte sein, die sich am längsten halten, wie fettes Unkraut. Sonst –« er zuckte mit den Schultern – »nitschewo!«
»Gut. Seien wir privat.« Tschetwergow setzte sich und nahm dankend das Glas Wodka an, das Marussja aus der Küche hereinbrachte. »Was macht eigentlich unsere Natascha Trimofa, Iljitsch Sergejewitsch?«
»Die Trimofa? Die fault irgendwo zwischen Alma-Ata und Undutowa.«
»Ich glaube, wir irren uns da, Genosse.«
»Soso?«
»Ich habe mit Major Poltezky unter vier Augen gesprochen, als er von Karaganda zurückkam. Ein wüster Knabe, Iljitsch Sergejewitsch. Wenn alle Frauen, die er kennt, ihm ein Zeugnis ausstellen würden, könnte er mit ihnen eine ganze Datscha tapezieren!«
Konjew lachte laut. Er hieb sich auf den Oberschenkel und stürzte das Glas mit Wodka hinunter. »Das mit dem Zeugnis ist gut, Genosse Tschetwergow. Sehr gut! Da hätte für Borkin der Kreml nicht ausgereicht.«
Tschetwergow verzog die Miene. Es kam ihm sauer hoch, wenn er an Borkin dachte.
»Erwähne diesen Namen nicht. Er soll
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