Der Himmel über Kasakstan
vergessen sein! Für immer! Wenn der Kreml unsere Schiebungen wüßte –«
»Wir könnten uns einen Strick suchen, Genosse.«
»Das könnten wir.« Tschetwergow erhob sich und ging unruhig im Zimmer hin und her. Er war in diesen wenigen Wochen noch gelber geworden, noch tatarischer, noch häßlicher. Es ist die Leber, hatte der Arzt in Alma-Ata zu ihm gesagt. Ihr habt sie euch weggesoffen. »Wo kann sie nur sein?« fragte Tschetwergow nachdenklich.
»Wer?«
»Erna-Svetlana.«
»Was kümmert uns das deutsche Luderchen?«
»Sie war hübsch, Iljitsch Sergejewitsch. Wenn ein Borkin sie anfaßt, ist dies ein Gütebeweis. Ich habe sie zwei Wochen lang gesucht. Wie ist es möglich, daß in Kasakstan drei Menschen einfach verschwinden?«
»Das haben Sie schon einmal gefragt, Genosse Kommissar.«
»Ich werde es immer wieder fragen! Es war das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe. Als Borkin mit ihr zu mir in das Parteigebäude kam, stockte mir der Atem.«
»Vielleicht fressen sie jetzt die Würmchen oder die Steppengeier.«
»Halt den Mund, Konjew!« Tschetwergow nahm seine Wanderung durch das Zimmer wieder auf. »Sie ist nicht tot! Wir hätten sie sonst gefunden! Alles haben wir abgesucht! Bis zum Balchasch-See hinunter.«
»Bis Andreij Boborykin«, sagte Konjew leichthin. Er dachte sich nichts dabei … es war nur ein Name. Tschetwergow blieb ruckartig stehen.
»Wer ist Boborykin?«
»Sie kennen ihn doch. Der Jäger im Balchasch-Sumpf. Er haust dort wie ein Bär. Keiner kennt den Weg, der zu ihm führt.«
»Kannte ihn Natascha Trimofa?«
»Ich glaube –«, sagte Konjew zögernd. »Ja! Sie kannte ihn. Sie war ein paarmal bei ihm! Erinnern Sie sich, Genosse, sie sagte, Boborykin habe eine Blutvergiftung am Finger?« Konjew sprang auf. »Es war eine Lüge. Ich habe Andreijs Finger gesehen.«
»Aber seine Hütte habt ihr nicht gesehen?«
»Nein. Wir kommen nicht an ihn heran.«
»Ihr Idioten!« sagte Tschetwergow aus voller Brust. »O ihr Idioten! Wir suchen uns die Augen aus dem Kopf, und bei Boborykin können sie leben wie die Maden im Speck! Man sollte euch in Sibirien verfaulen lassen!« schrie er plötzlich. Er winkte und hob den rechten Arm, als führe er eine ganze Reiterschar an. »Wir fahren sofort zu Boborykin!«
»Am Wald ist es Schluß! Weiter kommen wir nicht.«
»Ich werde ihn mit einem Artillerie-Geschütz herausschießen«, sagte Tschetwergow laut. »Ich bombardiere ihn! Mit einem Hubschrauber lande ich auf seinem Drecksdach! Ich werde ganz Rußland aufbieten, um Svetlana zu bekommen! Es darf in Rußland keine Boborykins geben!«
»Und wenn Svetlana, Boris und die Trimofa nicht bei ihm sind?«
Tschetwergow winkt großzügig ab. »Auch Fedja war nicht der Mörder und hat gestanden. Werden wir nicht rechtlich, Genosse Konjew. Räuchern wir Boborykin aus … es ist die einzige Stelle, die wir nicht abgesucht haben.«
»Wie Sie wollen. Wann soll es losgehen?«
»Sofort! Sie haben Telefon?«
»Selbstverständlich.«
»Dann rufen Sie Alma-Ata an und verlangen Sie die Sektion III. Alles andere werden Sie dann hören.«
Und Iljitsch Sergejewitsch Konjew lief zum Telefon und wählte die Nummer des Parteihauses von Alma-Ata.
»Verrückt«, murmelte er vor sich hin, während er auf die Verbindung wartete. »Da sieht man wieder, wie dickköpfig die Stadtleute sind …«
*
Gegen 2 Uhr morgens zog die kleine Kolonne los.
Vorweg Boborykin mit einem Packpferd. Er kannte die Wege am besten, er konnte durch die Wälder und Dickichte gehen wie ein Fuchs, der in ihnen aufgewachsen war.
Die Hufe der Pferde waren mit Säcken umwickelt solange sie in der Nähe der Höfe und der Hörweite der Nomaden gehen mußten.
Hinter Boborykin ritt Natascha Trimofa. Sie hatte zwei große Säcke mit auf dem Pferd. Der eine lag vor ihr, der andere war hinter ihr festgeschnallt, so daß sie sich dagegen lehnen konnte wie gegen eine gutgepolsterte Lehne. Zuletzt ritten Boris und Svetlana, nebeneinander, fast Hand in Hand.
Sie ritten langsam, vorsichtig, lautlos. Wie Schatten glitten sie aus dem Sumpf hervor und wanden sich durch den Wald an Undutowa vorbei.
»Wenn wir beim Morgengrauen am Rande der Muju-kum-Wüste sind, haben wir ein gutes Stück gewonnen«, hatte Boborykin vor dem Aufbruch gesagt. »Alles, was wir dann sehen an Menschen, bringen wir zum Schweigen.«
»Keine Toten mehr.« Svetlana hob bittend die Hände. »Gibt es denn keine Freiheit ohne Tote?«
»Nein.« Natascha Trimofas Stimme war hart
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