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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Herbstblatt, das der Wind nicht hinab ins Tarim-Becken gerissen hat.
    Wir werden im Kreise ziehen oder uns in einem der Wälder einnisten wie herumstreunende Bären, dachte sie. Aber sie sagte es nicht zu Boris und Svetlana.
    Eine Woche später trafen sie auf kirgisische Nomaden.
    Sie standen plötzlich vor den Felljurten, als sie um eine Waldecke bogen. Fast hundert Kamele lagen träge im verdorrten Gras, eine Ziegenherde weidete östlich zu den Bergen hin. An Ketten und Eisenstangen hingen über offenen Feuern die Tonkessel, in denen der Mittagsbrei der Kirgisen schmurgelte.
    »Sofort zurück!« sagte Boris und umklammerte sein Gewehr. »Sie werden uns verraten.«
    Er wollte das Gewehr anlegen, als sich von den Jurten drei Gestalten lösten und mit krummen Reiterbeinen und hängenden, langen Schnurrbärten auf sie zukamen. Natascha drückte den Lauf des Gewehres herunter.
    »Ein Nomade hat noch nie einen Flüchtenden verraten. Sie wissen besser als jeder andere, was es heißt, heimatlos zu sein. Wir werden bei ihnen bleiben.«
    »Wir müssen doch über das Gebirge, Natascha Trimofa.«
    »Vielleicht wissen sie einen besseren Weg«, wich sie aus. »Sie kennen das Land wie du deine Hand.«
    Die drei krummbeinigen Gestalten waren herangekommen. Sie stellten sich nebeneinander und verneigten sich.
    »Sayn«, sagten sie mit heller, näselnder Stimme.
    »Sie sprechen mongolisch.« Natascha Trimofa hob die Hand. »Sayn«, sagte auch sie. »Ihr habt einen weiten Weg gehabt, Freunde. Wie wir.«
    Die drei Kirgisen sahen sich an. In ihren breiten, großflächigen Gesichtern mit den gelben Falten und den hängenden Schnauzbärten war keine Regung zu lesen. Sie waren wie aus Pergament geformt, aus verblichenem Pergament, das eine Hand zerknittert hatte und ihnen als Kopf auf die Schulter setzte.
    »Wohin zieht ihr?« fragte der am weitesten rechts Stehende. »Wo kommt ihr her?«
    »Aus Kasakstan. Wir wollen nach Indien.«
    »Indien?« Die drei sahen sich wieder an. »Indien liegt dort!« Sie wiesen mit der Hand nach Südwesten. Aber ihre Augen sagten, daß sie es nicht glaubten. Wie können drei Menschen allein mit Pferden nach Indien ziehen?
    »In den Bergen sind Truppen der Roten Armee.«
    »Ja.«
    »Sie dürfen uns nicht sehen.«
    In die Falten der drei Kirgisen stahl sich ein leichtes Lächeln. Es war das geheimnisvolle Lächeln der Asiaten, mit dem sie den Freund begrüßen und den Feind hinrichten.
    »Keine Bolschewiki?« fragte der eine wieder.
    »Nein. Wir suchen die Freiheit.«
    »Kommt mit.« Der Kirgise winkte. »Seid unser Gast.«
    Ohne weitere Worte traten die drei Kirgisen an die Pferde und nahmen die Zügel in die Hand. Geführt wie Ehrengäste, aber mit dem Gefühl, Gefangene zu sein, ritten sie in das Kirgisenlager ein.
    Ein kleines Heer von Kindern kam ihnen schreiend entgegen und umtanzte sie neugierig und mit lautem Gebrüll – Frauen, die an den offenen Feuern saßen, ließen ihre Kessel im Stich und rannten schnatternd näher. Selbst in die ruhenden Kamele kam Unruhe. Sie reckten die häßlichen Köpfe hoch, bleckten das gelbe Gebiß und brüllten.
    In der Mitte des Lagers stand eine größere Jurte mit einem Wimpel auf der Spitze. Drei Frauen in bestickten Wollgewändern waren dabei, aus Hirse einen Kuchenteig zu kneten, der in der glühenden Holzasche gebacken werden sollte. Flache Tonschalen voller Kamelstutenmilch standen in der prallen Sonne. Die Milch sollte säuern, um später als Verzierung über den heißen Kuchen geschüttet zu werden.
    Als das Pferdegetrappel und das Geschrei der Kinder näher kam, öffnete sich der Filzvorhang des großen Zeltes, und ein weißhaariger und weißbärtiger Kirgise mit einem goldbestickten Käppchen auf dem länglichen, schmalen Kopf trat hinaus. Er legte die Hände über die geschlitzten Augen und betrachtete die Ankommenden, so wie man eine Wolke anstarrt, die plötzlich am blauen Himmel sich bildet und zu regnen beginnt.
    Die drei Kirgisen sprachen ein paar Worte in einer mongolischen Sprache, die weder Boris noch Natascha Trimofa verstanden. »Es scheinen Sojoten zu sein«, flüsterte sie Boris zu. »Man trifft sie sonst weiter im Osten an, in der Mongolei und Urianhai. Mir ist rätselhaft, was sie hier wollen.«
    »Es ist kein Rätsel, meine Tochter.« Der alte Mongole sah Natascha Trimofa mit schräg geneigtem Kopf an. »Ich habe gute Ohren. Alles ist alt an mir geworden, aber wie bei einem alten Tiger, dem die Zähne abfaulen, ist das Gehör besonders gut

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