Der Himmel über Kasakstan
schwankend, die Tatzen um sich werfend stand der Bär im Schnee. Dann knickte er in den Knien ein, fiel auf die Seite, drückte die Pranken gegen den Messergriff, als könne er ihn aus der Brust ziehen, und begann dann, mit ohrenbetäubendem Wimmern gegen die Brust zu trommeln.
So verendete er abseits der ohnmächtigen Natascha, seufzend, brüllend, sich hin- und herwälzend und doch nicht mehr die Kraft in den Beinen, sich aufzurichten, um den Menschen zu vernichten, der an ihm vorbeirannte und sich über die Ärztin beugte.
Aus der zerfetzten Schlagader spritzte noch immer im Rhythmus des Herzschlags das Blut. Boris griff mit beiden Händen zu und drückte sie gegen die Wunde. Das Blut rann ihm über die Hände, als halte er sie unter einen Wasserhahn. Da riß er sich seine Steppjacke vom Körper, zerfetzte sein Hemd, riß es in Streifen und knüpfte sie aneinander. Mit einem Streifen band er über dem zertrümmerten Unterschenkel das Bein ab und drehte mit einem Knebel aus dem geschlagenen Fichtenholz den Hemdstreifen so fest um den Oberschenkel, bis die Schlagaderblutung aufhörte. Dann drückte er die anderen Streifen in die grauenhafte Wunde und verband sie, so gut er es konnte.
Noch einmal sah er zu dem Bären. Er lag still auf der Seite. Boris wußte nicht, ob er schon tot war … die Augen waren offen und starrten ihn ausdruckslos an.
Vorsichtig hob er Natascha Trimofa auf, legte sie über seine nackte Schulter, deckte seine Steppjacke über ihren schmalen Körper und hielt mit der linken Hand das Bein fest, das nur an ein paar Sehnen hing und bei jedem Schritt hin- und herpendelte.
Nach zwei Stunden schwankte Boris in die Höhle. Sein nackter, von Kälte blauer Oberkörper war mit feinen Eiskristallen überzogen, gefrorener Schweiß, der, kaum daß er aus den Poren drang, zu Eis erstarrte.
Er stolperte zwischen den apathisch auf dem Felsboden liegenden Pferden in das Innere der Höhle, wo Erna-Svetlana vor dem erkalteten Feuer saß, eingerollt in das Fell, das der Sojoten-Noyon ihnen mitgegeben hatte.
»Bor!« schrie sie leise auf, als sie den halbnackten Mann hereinschwanken sah. »Bor! Was ist denn?! O Gott! O Gott! Natascha.«
Sie wollte den leblosen Körper anfassen und griff in Blut und Fleischfetzen, hart gefroren und doch glitschig.
Boris ging in die Knie und schob den Körper Nataschas vorsichtig auf den Boden und auf die Decke, die neben dem Aschenhäufchen lag. Ohne Worte riß er Erna-Svetlana den Pelz von den Schultern und deckte ihn über die Trimofa. Dann erst richtete er sich auf und schlug mit beiden Händen gegen seine nackte, vereiste Brust, mit schmerzverzerrtem Gesicht und hohlen, wie abgestorbenen Augen.
»Ein Bär«, keuchte er unter seinen eigenen Schlägen, die die Eiskristalle von der Haut hieben. »Ein Bär … ihr Bein ist zerfetzt … die Schlagader … Wir müssen sofort zu dem Lager der Rotarmisten …«
Erna-Svetlana rannte zur Rückwand der Höhle. Dort hatte sie einen kleinen Kessel mit warmem Wasser stehen. Eine Satteldecke, die sie um den Topf gerollt hatte, hielt es notdürftig warm. Mit dem warmen Wasser kam sie zurück und zog den Instrumentenkasten Natascha Trimofas zu sich heran.
»Was willst du machen, Svetla?« fragte Boris. Er hatte seine Steppjacke wieder über den nackten Oberkörper gezogen, denn er hatte nur das eine Hemd, das er für Natascha zerriß.
»Sie verbinden.«
»Es hat keinen Zweck mehr. Das Bein muß abgenommen werden. Ich werde zu den Soldaten gehen. Sie sind acht Werst weit entfernt.« Er sah zu Boden, als ihn der Blick Erna-Svetlanas traf. Er wußte, was sie dachte und nicht aussprechen wollte. Mehrmals nickte er.
Ja, Svetla, hieß das. Ja, das ist das Ende. Nicht die Menschen haben uns besiegt, sondern die Natur und die Tiere. Hier ist der weiteste Punkt der Freiheit … wir haben Glück gehabt, den Wind zu sehen, zu riechen und zu fühlen, der herüber kommt von einem freien Land … wir haben das Glück gehabt, von der Freiheit zu träumen … wir haben alles gehabt, was einen Menschen selig macht: ein gemeinsames Ziel in das Morgen.
Nun geht es zurück … in ein Lager, unter die Peitsche der Aufseher, unter die Stiefel und Tritte der Block- und Barackenführer, vielleicht auch vor einen Pistolenlauf der sich kalt in deine Nackengrube bohrt und aus dem mit einem dumpfen Laut die Erlösung für immer kommt.
Er kniete wieder an der Seite Nataschas nieder und ergriff die schlaffen Hände Erna-Svetlanas.
»Wir müssen tapfer
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