Der Himmel über Kasakstan
Sterben braucht er nur ein paar Bretter. Und selbst die nicht, wenn man ihn verscharrt, wie man uns einmal verscharren wird.«
Den erfrorenen Hasen in der Hand, stand Natascha Trimofa an einer Ecke des ›Waldes‹ und sah zu, wie Boris mit einem langen Messer die vereisten, harten Zweige abbrach und abschnitt. Das Knacken des brechenden Holzes war der einzige Laut in der glasklaren schneeigen Stille.
Verwundert fuhr Natascha zusammen, als sie jemand von hinten an der Schulter berührte. Sie warf sich herum mit dem Gedanken, von der Militärpatrouille entdeckt worden zu sein. Dann aber verzog sich ihr schmales Gesicht zu hellem Entsetzen, sie riß den Mund auf, um zu schreien, aber es war nur ein ersticktes Röcheln, das die zusammengekrampfte Kehle durchließ.
Vor ihr stand ein Bär.
Ein mittelgroßer, braunzottiger Bär mit kleinen Eiszapfen an dem langen Fell, spitzer Schnauze, mit Schnee besprenkelt, als habe er unter der Schneedecke nach Nahrung gesucht. Die kleinen, ausdruckslosen Augen starrten Natascha an.
»Boris«, schrie Natascha noch einmal. Jetzt war es endlich ein Schrei … er gellte durch die Stille und riß den an einem kleinen Kiefernstamm sägenden Boris herum.
Aber auch der Bär zuckte von dem Schrei zusammen. Unwillig schmatzte er mit der Schnauze, richtete sich dann auf und warf seine Vordertatzen Natascha entgegen.
Die Ärztin wich zurück. Mit den Spitzen der Krallen erwischte sie der Bär noch und riß ihr die Steppjacke über der Brust auf.
»Zurück!« brüllte Boris aus den Büschen. »Laufen Sie, Natascha. Ich bin gleich bei Ihnen.«
Er rannte durch das Gestrüpp, das lange Messer weit vorgestreckt. Natascha wandte sich um und rannte. Hinter ihr setzte der Bär wieder an … er jagte in Sprüngen nach, lautlos, federnd, den schweren Körper über den Schnee schnellend, als sei er nicht mehrere Zentner schwer, sondern leicht wie eine Gazelle.
Boris rannte wie ein Irrer. Er sah, wie der Zwischenraum sich verringerte, er konnte sich ausrechnen, wann der Bär die durch den knietiefen Schnee stolpernde Natascha erreicht haben würde.
»Ziehen Sie die Jacke aus und werfen Sie sie ihm hin!« schrie er. »Das lenkt ihn ab!«
Verzweifelt versuchte Natascha Trimofa, während des Laufens die dicke Steppjacke auszuziehen. Sie hatte den linken Ärmel schon frei, als sie über ein Eisstück stolperte und in den Schnee fiel, mit dem Gesicht nach unten.
Boris schwang beide Arme wie Flügel durch die eiskalte Luft. Dabei schrie er … gellend, schrill, langgezogen, um den Bären auf sich abzulenken. Natascha warf sich herum und zog die Beine an.
Als der Bär über ihr war, trat sie mit voller Wucht und beiden Beinen gegen seinen Unterleib.
Mit mächtigem Gebrüll richtete sich der Bär wieder auf. Er warf die Vordertatzen in die Luft, als wolle er nach Boris drohen … dann ließ er sich über Natascha fallen und hieb mit der rechten Pranke in ihren Oberschenkel … immer und immer wieder, immer auf die gleiche Stelle, eine Handbreit über dem Knie.
Natascha schrie einmal auf … dann lag sie wimmernd unter den Prankenschlägen, bis alles um sie herum verschwamm und sie als letztes nur noch die spitze, schneebesprenkelte Schnauze sah und die kalten, ausdruckslosen Augen, die zu blinzeln schienen, während die Pranke ihr das Bein zerfetzte.
Brüllend wie ein Stier hatte Boris den Bären erreicht. Mit dem langen Messer stach er ihm in den Nacken und zog es mit beiden Händen herunter. Blut schoß aus dem zotteligen Fell, der Nackenmuskel quoll aus dem Schnitt hervor, als sich der Bär aufrichtete. Unter ihm lag Natascha Trimofa mit verzerrtem Gesicht und aufgerissenem Bein. Das Blut spritzte aus der Wunde … um sie herum gab es keinen Schnee mehr … sie schwamm in einem roten See.
Auf den Hinterbeinen schwankend stürzte der Bär auf Boris Horn. Mit aufgerissener Schnauze, vor der sich der Atem wie eine weiße Wolke hin- und herbewegte, mit schnaubenden Lauten und einem tiefen Grollen, das aus dem Inneren der breiten Brust quoll, versuchte er, sich auf Boris zu werfen.
Boris wich zurück. Er lockte den Bären von Natascha weg … dann duckte er sich blitzschnell, unterlief die erhobenen Pranken und stieß das lange Messer mit beiden Händen und sich mit dem ganzen Gewicht seines Körpers dagegenwerfend in die Brust des Bären. Mit dem gleichen Schwung warf er sich seitlich in den Schnee und rollte sich weg.
Ein unheimliches Brüllen zitterte durch die Eisluft. Mit blutroten Augen,
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