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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sein, Svetla«, sagte er stockend. »Jetzt hört das Denken auf, und das Dulden beginnt.« Er lächelte verzerrt. »Beides fängt mit einem D an … es verändert sich nicht viel …«
    Svetlana schob das Fell zurück. Sie sah das zerrissene Bein und den mit dem Hemdenstreifen abgebundenen Oberschenkel, der blau und aufgequollen war.
    »Wir müssen Holz haben, Bor.«
    »Holz. Ja, Holz!«
    Er rannte aus der Höhle, er taumelte durch den Schnee und den aufkommenden Wind zurück in die Schlucht, wo er das Holz geschlagen hatte, bevor der Bär kam.
    Keuchend, mit dem Gefühl, die Welt drehe sich um die Spitze des Felsens vor ihm, erreichte er das Kieferngehölz. Beide Arme schlang er um einen kräftigen Stamm und hielt sich an ihm aufrecht, das Gesicht an die vereisten Zweige pressend.
    Der Bär lag vor ihm. Eine blutige Schleifspur zeigte den kurzen Weg, den er verendend zurückgelegt hatte.
    Er war bis zu der Blutlache gekrochen, in der Natascha Trimofa gelegen hatte.
    Und es war, als habe er sterbend noch das Blut seines Opfers geleckt …
    *
    Als das Feuer neu entfacht war und die ersten Flammen zischend mit beißendem Qualm die Höhle erleuchteten, schlug Natascha Trimofa die Augen auf und starrte in den zuckenden Feuerschein.
    Sie rührte sich nicht, ihr bleiches Gesicht blieb ausdruckslos, trotz der wahnsinnigen Schmerzen, die sie bei ihrem Erwachen aus der Besinnungslosigkeit empfinden mußte. Nur mit der Hand tastete sie nach dem zerrissenen Bein und strich mit den Fingern den Oberschenkel hinab, stockte einen Moment an der Abbindung und tastete dann weiter bis zu den zerfetzten Muskeln und zersplitterten Knochen. Ihre Augen wurden groß und weit, der Mund öffnete sich wie eine aufbrechende Erdspalte.
    »Die Schlagader, Bor?« fragte sie leise.
    »Ja, Natascha Trimofa.« Boris schluckte und biß sich auf die Lippen. Erna-Svetlana kam mit heißem Wasser und wusch die Stirne und das Gesicht der Trimofa.
    »Bor wird zu den Soldaten gehen und dich abholen lassen.«
    »Nein!« Natascha hob die Hand und versuchte, sich aufzurichten. Dabei schleifte die Wunde über den Boden. Mit einem ächzenden Laut, der mehr einem unterdrückten Schrei glich, sank sie zurück. »Nicht zu den Rotarmisten. Soll denn alles umsonst gewesen sein?«
    »Das Bein –« Boris sah auf seine Hände.
    »Es müßte abgenommen werden. Ich weiß es. Aber es bleibt dran, und ihr zieht weiter!«
    »Das ist doch unmöglich.« Svetlana legte kalte, nasse Lappen auf den abgebundenen Oberschenkel. »Was soll denn mit Ihnen geschehen?«
    »Laßt mich liegen, und flieht weiter.«
    »Sie wissen genau, Natascha Trimofa, daß wir das nicht tun«, sagte Boris laut.
    »Weil ihr unheilbare Idealisten seid. Aber Idealismus in Rußland ist Idiotie! Keiner dankt ihn euch!«
    »Sprechen wir nicht weiter darüber!« Boris deckte die Trimofa wieder zu.
    »Man wird dich als Mörder Borkins verurteilen, Bor!«
    Boris schwieg. Er sah hinaus in die beginnende Nacht und den Sturm, der den Schnee wieder über die Pferdeleiber in die Höhle trieb.
    »Wenn es dir gleichgültig ist, dann denke an Svetla!«
    »Ihr wird nichts geschehen!«
    »Was man dir tut, trifft auch sie! Sie liebt dich …«
    Natascha Trimofa richtete sich wieder auf. Ihr Gesicht verzerrte sich … das abgerissene Bein, der abgebundene Oberschenkel, der ganze Körper brannte wie Feuer. Erna-Svetlana beugte sich über sie und drückte sie wieder auf das Fell.
    »Sie müssen ganz ruhig liegen, Natascha Trimofa. Bor wird gleich Hilfe holen, wenn der Schneesturm etwas nachläßt.«
    »Er darf es nicht! Er darf es nicht!« Die Trimofa tastete nach dem Instrumentenkasten. »Such eine Spritze heraus, Boris«, sagte sie stöhnend. »Zeig mir den Kasten.«
    Svetlana hielt ihr den großen Blechkasten hin. Mit zitternden Fingern tastete sie nach dem Spritzenbehälter, nahm den Glaskolben heraus, setzte eine Nadel ein und zerbrach eine Ampulle mit einem schmerzstillenden Opiat, die sie aus einer kleinen flachen Schachtel nahm. Mit letzter Kraft zog sie die Spritze auf und hielt sie Boris entgegen.
    »Stoß es mir in den gesunden Schenkel«, sagte sie. Ihre Stimme war klein, zerflatternd, wie ein sterbendes Vögelein, das aus dem Nest gefallen war.
    Boris schob die Decke zurück. Er bemühte sich, die schreckliche Wunde nicht zu sehen und den aufgequollenen, abgebundenen Oberschenkel. Mit Jodtinktur, die ihm Svetlana anreichte, pinselte er die Einstichstelle ein und nahm dann die Spritze.
    »Keine Angst. Stoß hinein,

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