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Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Carl
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ernst.«
    »Jennylein«, sagt meine Mutter, ihre Stimme zittert ein bisschen. Auch das noch: Heulalarm. »Jennylein, ich mach mir Sorgen um dich.«
    Ich sehe ihr Gesicht genau vor mir: die Falten neben ihren Mundwinkeln, die sich dehnen wie Gummibänder, kurz bevor sie in Tränen ausbricht.
    Plötzlich tut sie mir leid. Gerne würde ich sie »Mutz« nennen wir früher und etwas Liebes antworten. Aber es ist unmöglich. Körperlich unmöglich.
    »Lass mal gut sein«, höre ich mich sagen, mit unterkühlter Stimme. »Schlimmstenfalls komme ich bei einer Freundin unter.«
    »Bei einer Freundin? Was für einer Freundin denn?«
    »Kennst du nicht«, sage ich und bin erstaunt, dass sie zu lachen anfängt, nachdem ich gerade noch dachte, sie würde in Tränen ausbrechen.
    »Na, das hätte ich mir denken können. Im Ernst, das kann doch nicht so schwierig sein, sich mit Anne zu arrangieren. Sie fühlt sich verantwortlich für dich und ein Stück weit ist sie das ja auch.«
    »Ja, vielleicht. Kann schon sein.«
    »Und sonst?«, fragt sie betont munter. »Was hörst du von Max?«
    Warum muss sie jetzt ausgerechnet Max erwähnen?
    »Hängt auf Flohmärkten ab und sucht nach alten Langspielplatten. Das Übliche.«
    »Stimmt was nicht?«, fragt sie. »Ich meine, mit dir und Max? Du klingst so komisch!«
    »Doch, total, alles prima.«
    »Übrigens«, sagt sie zögernd, »ich hab ihn neulich Abend gesehen. Auf dem Weinfest. Mit so einer kleinen Schwarzhaarigen. Ich dachte … Ich habe mir überlegt, du solltest das vielleicht wissen.«
    »Und, habt ihr euch unterhalten, Max und du?«
    »Ich hab gewinkt, aber er hat mich wohl nicht bemerkt. Weißt du, wer das war, dieses Mädchen?«
    Nein. Ist mir momentan auch egal.
    »Du, Mama, ich muss jetzt wirklich los. Und ich hab noch nichts mit meinen Haaren gemacht.«
    »Ich dachte, du gehst zu einer Lesung? Wieso musst du dich dafür schick machen?«
    »Mama«, sage ich tadelnd, »das ist New York.«
    »Wann bist du denn zurück von deiner Veranstaltung?«, fragt sie eilig. »Vielleicht können wir später noch mal telefonieren.«
    »Sorry, aber ich versteh dich gerade ganz schlecht. Muss ein Funkloch sein, hier irgendwo. Bye, Mami, gib Papa einen Kuss.«
    Bei den letzten Worten klingt meine Stimme wieder richtig liebevoll. Geht doch.

    Vor dem Rückspiegel eines parkenden Autos ziehe ich mir die Lippen nach. Es ist heute so heiß, dass mein Gesicht beinahe schmilzt. So fühlt es sich jedenfalls an. Meine Sonnenbrille rutscht mir von der Nase, ich muss sie festhalten auf dem Weg zur Public Library.
    Es ist fast drei Uhr, als ich bei dem palastartigen Gebäude mit dem Park dahinter ankomme. So imposant ist die Bücherei, dass ich beinahe daran vorbeigelaufen wäre. Aber das hier ist eben New York, da sieht selbst die Zentralbibliothek so aus, als würde hier gleich ein Staatsempfang stattfinden, mit ihrem protzigen Treppenaufgang, dem Wandelgang mit den Säulen und der herrschaftlichen Fassade.
    Leicht gefallen ist mir die Verspätung nicht. Aber Leroy soll nicht denken, dass es mir so schrecklich wichtig ist. Zwanzig Minuten lang habe ich T-Shirts anprobiert, danach in einer Buchhandlung einen alten Mann im Rollstuhl beobachtet, der sich Bildbände mit Flaggen und Waffen in der Abteilung Americana anschaute. Im Regal Self Improvement habe ich das Zehn-Punkte-Programm für mehr Selbstbewusstsein, besseren Sex und eine steile Karriere gefunden. Ich dachte, das könnte ich gebrauchen. Erst kurz vor der Kasse habe ich gemerkt, dass es nur für Männer geschrieben war, und habe es unauffällig auf den Stapel mit den Bestsellern gelegt.
    Weil mir danach nichts mehr einfiel, war ich schon wieder in einem Internetcafé. You have one new Mail. Paula schreibt, wie sie spricht. Schnell, spitz, ohne Punkt und Komma.
    »Was heißt denn hier: Das ist auch besser so, probier es doch wenigstens aus mit dem Typen!!! Ich will ja nicht klingen wie meine eigene Mutter, aber du bist nur ein Mal jung, hinterher ärgerst du dich, wenn Max dir wieder den ganzen Abend neben der Tanzfläche was von seinen Computerspielen ins Ohr brüllt! Wie sieht der aus, dieser Leroy? Kannst du mal ein Foto ins Netz stellen?«
    Jetzt, um drei, ist die Lesung sicher bald vorbei. Genau der richtige Zeitpunkt, hier aufzukreuzen. Ganz unverbindlich. Ganz cool. Ganz amerikanisch.
    Der Rasen ist kaum zu erkennen vor lauter Zuhörern. Sie liegen oder sitzen auf Handtüchern und Wolldecken, trinken geeisten Milchkaffee aus

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