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Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Carl
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würden. Kein Grund, stolz auf mich zu sein.
    Ich zähle 2,75 Dollar ab, rolle die Zeitschrift mit der Titelseite nach innen ein und sehe mich nach dem U-Bahn-Schild um. Als ich auf die Straße trete, quietschen Reifen, ein roter Chevrolet hupt, ein Typ mit grauem Pferdeschwanz lehnt sich aus dem Fenster und deutet mit zwei Fingern auf seine Augen.
    »Hast du dich schon mal gefragt, wozu du diese Dinger im Gesicht hast?« Eines muss man Madame Lucy lassen: Mit der Narrenkarte hatte sie recht.
    Direkt an der Straßenecke mit dem U-Bahn-Eingang liegt ein Internetcafé mit Kuchentheke. Die Bananen-Nuss-Muffins riechen köstlich, schmecken aber nach Plastik. Neue Statusmeldung von Max an alle Facebook-Freunde: »Ich habe ein altes Prince-Album auf dem Plattenflohmarkt ersteigert!«
    Wie wären wir wohl in Verbindung geblieben, wenn wir dreißig Jahre früher gelebt hätten, zu der Zeit, als mein Vater und Anne sich im Greyhound-Bus kennengelernt haben? Einen handgeschriebenen Brief von Max, so etwas habe ich noch nie bekommen. Dabei mag ich seine Handschrift, sie ist so schön geschwungen, fast wie die eines Mädchens. Als wir frisch zusammen waren, bekam ich manchmal Postkarten. Immerhin. Ist auch schön retro.
    Paula hat gemailt. »Hi, Süße, alles klar? Was macht die New Yorker Männerwelt?« Überrascht mich nicht, dass sie sich mal wieder für nichts anderes interessiert. Paula wohnt seit der elften Klasse in einer WG. Ist mit Pauken und Trompeten zu Hause ausgezogen, weil ihre Mutter wollte, dass sie während der Woche spätestens um Mitternacht zu Hause ist. »Ich habe verdammt noch mal das Recht, meine eigenen Fehler zu machen!«, konterte sie, als ich sie fragte, ob sie sich das gut überlegt habe. Ich bewundere sie, sie hat so viel mehr Stil als ich. Weiß immer, wo es Fabrikverkäufe von angesagten Modelabels gibt, trägt Sachen, von denen man sich fragt, ob sie noch ganz bei Trost ist, bis drei Monate später plötzlich alle so herumlaufen.
    »Stell dir vor, Sweetie«, schreibe ich zurück, »ich habe tatsächlich jemanden kennengelernt. Er heißt Leroy. Ein toller Name für einen tollen Menschen. Schade, dass er nicht zu haben ist. Glaube ich jedenfalls. Aber gut, ich bin ja auch in festen Händen. Träumen wird man aber wohl noch dürfen, oder?«
    Auch wenn es wehtut.

8.

    Z um dritten Mal in dieser Nacht wache ich auf. Die Decke liegt warm und schlaff auf mir wie ein schlaftrunkener Körper und ich brauche einen Moment, um mich aus der Stoffumarmung zu befreien. Die Digitaluhr mit den roten Zeigern neben meinem Bett zeigt vier Uhr an. Noch zehn Stunden bis zur Lesung im Bryant Park. Die Zeit schleicht, als säße ich eingezwängt in der mittleren Reihe eines Flugzeugs auf Langstrecke. Mit dem Unterschied, dass ich dort wenigstens zwei Filme sehen und dem Ende des Flugs mit größerer Gelassenheit entgegenschauen könnte.
    Nein, ich habe nichts von diesem Abend vergessen. Den Kuss der Rastafrau, Leroys freudige Überraschung, als sie sich über ihn beugte. Aber trotzdem. Ein komisches kleines Männchen in meinem Kopf wird nicht müde, von innen gegen meine Schädeldecke zu klopfen und dumme Fragen zu stellen. Bist du sicher? Und selbst wenn er eine Freundin hat, was würde das ausmachen? Vielleicht sieht er das ja nicht so eng. Und du? Noch ein paar Wochen und du bist wieder in Deutschland. Keiner würde was merken. Nicht mal Max. Überhaupt, wenn wir gerade von Max reden: Woher weißt du überhaupt, ob der es so genau nimmt mit der Treue, wie du immer denkst? Weißt du, wo er gerade abhängt und mit wem?
    Shut up , du Giftzwerg.
    Ich stehe auf, ziehe meine Jeans an und schleiche über den Flur auf die Toilette. Dabei mache ich kein Licht an. Bloß nichts tun, was Anne aufwecken könnte. Es ist stockfinster und so taste ich mich an der Wand entlang, bis ich einen Türknopf in der Hand habe. Mit der linken Hand fingere ich nach dem Lichtschalter.
    Schon in den Sekundenbruchteilen, bevor das Licht angeht, wird mir klar, dass ich hier falsch bin. Unter meinen Füßen sind keine Fliesen, da ist Teppichboden. Ich stehe im einzigen Raum der Wohnung, den ich noch nicht kenne. Ich habe Anne noch nie hineingehen sehen. Dann flammt die Glühbirne auf und ich sehe mich verwundert um.
    Das Zimmer ist anders als die anderen. Völlig anders. Keine Häkeldeckchen, keine Aquarelle mit Pferden und blühenden Bäumen an der Wand. Es sieht eher aus wie eine Studentenbude. In der Ecke stehen ein Cordsofa mit einem bunten

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