Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Carl
Vom Netzwerk:
durchsichtigen Bechern und hören der Dichterin zu, die vorne auf einem Rednerpult steht. Ich setze mich am Rand ins Gras und zwinge mich, nicht nach Leroy zu schauen.
    Die Frau auf dem Pult muss Geena Bartoli sein. Ein schmaler kleiner Körper in einer streng geschnittenen Hose und einem schwarzen Hemd. Eine randlose Brille, schwarze Haarkringel auf dem Kopf. Kein Fett, kein Schmuck, keine Farben. Nichts an ihr ist zu viel. Ihre Texte klingen nach Blues. Nach verregneten Nachmittagen auf einem zerschlissenen Sofa. Sie erzählen von Wut. Und von Liebe. Zur gleichen Zeit.
    Ich schließe die Augen, lehne mich zurück und lasse mich mittragen. Worte wie Musik. Doch kaum sitze ich ein paar Minuten hier, tippt mir jemand auf die Schulter und beugt sich über mich.
    Und ich weiß auf einmal, dass es längst passiert ist. Dass ich mich längst verliebt habe, auch wenn ich bisher nicht gewagt habe, dieses Wort auch nur zu denken. Denn wie viele Menschen erkennt man schon blind an ihrem Geruch?
    Ich habe keine Ahnung, was es ist, dieses unverwechselbare Leroy-Parfüm. Eine Hautcreme, das Leder seiner Schuhe, etwas in seinen Haaren. In seiner Haut. Ich weiß nur, dass ich am liebsten so sitzen bleiben würde und weiteratmen, ohne die Augen aufzumachen. Ich glaube, so etwas ist mir noch nie passiert.
    Geht natürlich nicht, was sollte er auch von mir denken? Also blinzle ich ein wenig, als müsste ich erst zu mir kommen, und setze mich auf.
    Leroy hockt vor mir im Gras, den linken Ellenbogen auf den Knien abgestützt. Mit der rechten Hand rückt er seine Brille zurecht. Schon wieder eine andere. Sie hat dunkel getönte Gläser, ist aber genauso klein und rund wie das John-Lennon-Modell von neulich Abend.
    »Da bist du ja endlich!«, sagt er strahlend, als hätte er Tage und Minuten gezählt, genauso wie ich. Diese Amerikaner. Immer derartig zuvorkommend.
    Dann legt er den Kopf schief und sieht mich an. »Magst du Chili?«, will er wissen.
    Wie kommt er bloß auf diese Frage?
    »Klar. Wenn’s schön scharf ist.«
    »Fein. Lydia kann das perfekt. Dann komm doch nachher mit uns nach Hause.«
    Lydia?
    Also doch. Völlig klar. Sie haben nicht nur die gleiche Frisur, auch den gleichen Anfangsbuchstaben. Und jetzt laden sie mich zum Essen ein. Reizend. Ganz aufmerksam.
    Worüber werden wir reden? Über meinen boyfriend und seine Arbeit bei einer Versicherung? Werden sich die beiden über den Tisch hinweg bedeutungsschwangere Blicke zuwerfen: Wenn die Europäerin weg ist, werde ich dich zwischen leeren Chilitöpfen küssen, dich an den Hüften packen, auf die Spüle stemmen und dich lieben?
    Was kosten noch mal die seelentröstenden Kristalle bei Madame Lucy?
    Er sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, und langsam begreife ich, dass er noch immer auf eine Antwort wartet.
    »Wer ist Lydia?«, frage ich lahm.
    »Oh, du hast sie doch neulich schon gesehen, oder? Wir wohnen zusammen und sie ist im gleichen Slam-Team wie ich.«
    Auch das noch. Die leben sogar zusammen! Das ist ja fast schon wie Verheiratetsein.
    Leroy steht auf und zupft an seiner Jeans.
    »Was machst du jetzt?«, will ich wissen.
    »Den Blumenstrauß für Geena holen.«
    »Ist die Lesung schon vorbei?«
    »Leider. Schade, es hätte mich interessiert, was du von meiner neuen Performance hältst.«
    Ich blinzle gegen das Sonnenlicht.
    »Ist was? Du guckst so traurig?«
    Ich schüttle den Kopf.
    »Wäre wirklich toll, wenn du mitkommst. Ich würde mich jedenfalls freuen. Lydias Freund aus Washington ist übrigens auch noch da.«
    Lydias Freund?
    Da hab ich mich wohl verhört.
    Habe ich nicht. Er hat boyfriend gesagt. Klar und deutlich.
    Ich sollte jetzt etwas antworten. Und zwar schnell. In einer Sprache, die ich normalerweise auch ganz gut beherrsche. Das heißt, wenn mein Herz nicht gerade seinen persönlichen New-York-City-Marathon in meiner Brust laufen würde, ohne von der Stelle zu kommen.
    »Das ist wohl eine ziemlich große … also, ich meine, viele Leute in der Wohnung …«, stammle ich.
    »Stimmt. Fünf Leute in einer WG. Ein Kunststudent, eine Maskenbildnerin, eine Dichterin, ein alter Hippie. Und ein Fahrradkurier«, fügt Leroy mit falscher Bescheidenheit hinzu.
    Er wendet sich ab, dann dreht er sich noch einmal um und sieht mich über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg an. So wie damals, wie vor hundert Jahren. Oder sind erst zwei Wochen vergangen, seitdem wir uns zum ersten Mal gesehen haben, an einer Straßenkreuzung?
    »Und wehe, du läufst

Weitere Kostenlose Bücher