Der Himmel über New York (German Edition)
Hinterlassen Sie Ihre Nachricht bitte nach dem Piepton.«
Ich versuche, meine Tränen hinunterzuschlucken. »Mama, Papa«, sage ich gepresst, »ich bin bei Anne rausgeflogen, ich ziehe jetzt zu einem Freund. Ich melde mich dann wieder. Nicht böse sein. Bitte seid mir nicht böse.«
Ich lausche noch einen Moment, aber am anderen Ende der Leitung ist nichts. Nur eine Maschine in einem leeren Haus.
Auf der Treppe zur U-Bahn drehe ich mich noch einmal um. Ein verschwitztes Mädchen in Joggingshorts ruft aufgeregt etwas in ein winziges Telefon. Dabei zieht sie abwechselnd ihre linke und ihre rechte Ferse an den Po und hält sie mit einer Hand fest. Dann beugt und streckt sie ihre Beine rhythmisch. Während sie noch telefoniert, beginnt sie schon wieder auf der Stelle zu traben. Manchmal ist diese Stadt mir einfach zu schnell.
Mein Koffer wird immer schwerer, lässt sich auf dem unebenen Betonboden des Gangs kaum ziehen. Am liebsten würde ich ihn stehen lassen. Was habe ich schon zu verlieren? Wasser tropft von der Decke, immer wieder rempeln mich Menschen an, überholen mich, drängeln, stoßen, schieben sich an mir vorbei. Subway Lines at the far end of the corridor, steht auf einem Schild an der Wand, und es scheint, als würde es weiter zurückweichen mit jedem Schritt, den ich näher komme.
13.
I m Hausflur riecht es vertraut. Schon als ich mit meinem Koffer die zerkratzte Holztür aufstoße, dringt mir der Duft eines Gasfeuerzeuges in die Nase, der Geruch einer eben erst angezündeten Zigarette. Bob muss zu Hause sein. Dann kann ich wenigstens in der Wohnung warten und muss nicht im Treppenhaus sitzen.
Ich zerre mein Gepäck rückwärts die Treppe hoch in den zweiten Stock, klopfe an und rufe gleichzeitig: »Bob? Bist du da?«
Ich erwarte, dass jeden Moment das Sichtfensterchen von einem Auge verdunkelt wird, aber die Tür fliegt sofort auf. Er steht leicht vornübergebeugt da, auf den Drehknopf der Tür gestützt, das steife Bein nach hinten weggestreckt. In der Hand hält er eine brennende Zigarette. Als er mich sieht, sacken seine Mundwinkel ein Stück nach unten. Als sei er enttäuscht, mich zu sehen. Dann nimmt er einen tiefen Zug. Die Spitze glüht auf und knistert dabei.
»Jenny, natürlich, du bist es. Ich dachte … ach, es spielt keine Rolle.«
»Hast du mich mit jemandem verwechselt?«
»Ich kannte mal eine Frau, die klang genauso wie du. Sie hatte so eine Art, das letzte Wort in jedem Satz zu dehnen wie Kaugummi. Als müsste sie sich zu jeder Silbe durchringen. Sie hatte allerdings keinen deutschen Akzent.«
Es kommt mir vor, als würde Bob betont beiläufig sprechen. Als wäre er unschlüssig, ob er etwas herunterspielen oder mir eine lange Geschichte erzählen möchte. Ich bin sicher, es ist eine Liebesgeschichte. Und sie geht nicht gut aus.
»Aber was rede ich denn!« Bob schlägt sich mit der flachen Hand an die Stirn, sodass ich fürchte, die Zigarette könnte seine wenigen Haare in Brand setzen. »Ich erzähl dir hier mein halbes Leben an der Tür, statt dich hereinzubitten!«
Er geht einen Schritt zur Seite und stößt einen überraschten Laut aus, als er meinen Koffer sieht.
»Hab mir schon gedacht, dass ihr ganz schön verschossen ineinander seid. Aber dass du gleich bei Leroy einziehst, wundert mich jetzt doch. Was ist da drin, die Bettwäsche mit den gestickten Monogrammen und ein Satz Geschirrhandtücher?«
Ich lasse mich auf die abgewetzte Sofalehne fallen.
»Meine Vermieterin hat mich rausgeschmissen.«
Bob lässt sich vorsichtig mir gegenüber nieder. Er sieht nicht mitleidig aus, eher belustigt.
»Punkt für dich. Nur langweilige Menschen haben nie Ärger mit ihren Vermietern.«
»Du sprichst wohl aus Erfahrung.«
Bob winkt ab. Dann drückt er seine Zigarette in einer blauen Keramikschale mit angeschlagenen Ecken aus und schiebt die Asche mit dem Filter zu einem Hügelchen zusammen.
»Es ist allerdings über dreißig Jahre her«, redet er weiter, »dass ich zuletzt auf die Straße gesetzt worden bin. Ich wohnte damals mit meiner Freundin in einem Zimmer in Soho, für zwanzig Dollar pro Woche. Zwanzig Dollar, das muss man sich mal vorstellen! Lange bevor die Gegend von Galeristen und sogenannten Künstlern aufgekauft wurde, die ein paar Tausend pro Monat für ihre Lofts bezahlen können.«
»Konntet ihr euch die Miete nicht mehr leisten?«
»Nein, das war es nicht. Wir waren zu laut. Erst haben wir uns zu laut geliebt, später zu laut gestritten. Und dann
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