Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Carl
Vom Netzwerk:
passierte die Sache mit der Treppe.« Er hat angefangen, mit dem Zigarettenfilter Muster in den Aschenberg zu zeichnen. Kleine Krater und Fjorde.
    »Ich habe lange nicht an sie gedacht. Erst vorhin, als du draußen standest und ich deine Stimme hörte.«
    Bob sieht mich an, dann an mir vorbei, als sich hinter mir eine Zimmertür öffnet. Nackte Fußsohlen tappen über den Holzboden. Dann legt sich eine große, kühle Hand auf meine Schulter. Ich fahre herum.
    »Leroy! Du bist ja zu Hause!«
    »Vor einer halben Stunde angekommen. Gerade wollte ich dich anrufen, was machst du denn jetzt schon hier?«
    Um seine Hüften hat er ein Handtuch geschlungen, dazu trägt er ein T-Shirt. An seinem Hals glitzern ein paar Wassertropfen. Er riecht nach Duschgel und blinzelt kurzsichtig, ohne Brille. Er stutzt, als er meinen Koffer sieht, und blickt mich fragend an.
    Das geht nicht gut. Das kann niemals gut gehen.
    Aber ich kenne doch sonst niemanden in New York!
    »Ich wollte fragen, ob ich heute bei dir schlafen kann«, sage ich. Dabei fixiere ich die Schrift auf der Seite einer Milchtüte. Fettreduziert, cholesterinfrei, Vitaminzusätze. Verfallsdatum: 29. Juni.
    »Ich bin in Queens rausgeflogen und bei meiner Freundin Conny geht es nicht«, füge ich schnell hinzu.
    Klingt wie ausgedacht.
    Er stützt sein Kinn auf den Daumen, legt sich einen Finger auf die Lippen und sieht mich an. Sehr lange und sehr nachdenklich. Dann beginnt es um seine Mundwinkel zu zucken.
    Was ist das jetzt? Lacht der mich aus?
    »Nur heute?«, fragt er schließlich mit gespielter Enttäuschung. »Und was ist mit morgen und übermorgen?«
    Als er mich unter den Armen packt, auf die Füße stellt und in sein Zimmer dirigiert, wird mir schwindlig. Mir fällt ein, dass ich den ganzen Tag nichts gegessen habe, aber ich weiß auch, dass das nicht der einzige Grund ist. Ich lasse mich von ihm mitziehen, schließe die Augen und möchte sie nie wieder aufmachen. Außer um ihn zu sehen, wie er vor mir auf dem Futon kniet und mit einer eleganten Bewegung das Handtuch um seine Hüften löst.

    »Jenny, Gott sei Dank, dass ich dich erreiche!«
    »Papa, was ist denn los? Ist was passiert?«
    »Das fragst du noch? Gott sei Dank hat Mama deine Nachricht noch nicht abgehört, sie hätte sich sicher zu Tode erschrocken. Aber ich war auch beunruhigt, als ich vorhin nach Hause gekommen bin und das Band angemacht habe! Wo bist du denn jetzt?«
    Ich kauere mich in der Ecke des Bettes zusammen, schließe die Augen. Wenn ich mich bewege, riecht mein ganzer Körper nach Sex. Leroy liegt hinter mir zwischen zerwühlten Laken und fährt mit einem Finger meine Wirbelsäule entlang. Ich schlucke, bevor ich anfange zu sprechen. Ich will nicht, dass sich meine Eltern Sorgen machen, aber alles müssen sie auch nicht wissen.
    »Ich wohne jetzt bei Leroy. Ich meine, bei ein paar Freunden. In einer WG in Manhattan. Mit Anne habe ich mich nicht mehr richtig vertragen. Dauernd hat sie mir Vorträge gehalten, wie gefährlich das Leben in dieser Stadt ist. Dabei hat sie keine Ahnung, sie kommt aus ihrer Klitsche in Queens ja nie raus.«
    Es ist still. Ich sehe meinen Vater deutlich vor mir, mit seinem großen, runden Kopf, seinen rot karierten Hemden.
    »Du hast was anderes gesagt.« Nun ist seine Stimme wieder ganz beherrscht. »Anne hat dich rausgeschmissen, hast du gesagt. Dafür wird sie wohl einen Grund gehabt haben, oder?«
    »Ja, schon.« Ich nage an meiner Unterlippe. »Wir waren gestern Abend aus, ich meine Leroy und ich, und natürlich die anderen, also meine neuen Freunde.« Schon wieder verhaspelt. Neustart. »Also, es war spät, und dann habe ich hier in der WG übernachtet und Anne nicht Bescheid gesagt.«
    »Wer ist dieser Leroy?«
    Im Hintergrund kann ich das Martinshorn eines Einsatzwagens hören und muss auf einmal lachen. Dieses kreuzbrave deutsche Sirenengeräusch, das hatte ich ja schon fast vergessen.
    »Leroy?«, kichere ich. »Ein Bekannter von mir. Er schreibt Gedichte. Hast du schon mal was von Poetry Slams gehört?«
    »Jenny«, mein Vater dehnt die Silben, hebt die Stimme leicht an, »mach mir nichts vor. Hast du etwa einen neuen Freund?«
    Im Hintergrund läuft jetzt Musik. Eine Jazztrompete, das muss gut passen zur Abenddämmerung, dem rosa Himmel hinter dem Kirschbaum im Garten. In Freiburg ist es jetzt fast halb acht.
    »Ja. Irgendwie schon. Ich glaube, es ist ernst.«
    Mein Vater seufzt. Es hört sich an, als ließe er die Schultern hängen. »Ich hoffe, du

Weitere Kostenlose Bücher