Der Himmel über New York (German Edition)
weißt, was du tust.«
»Er ist schwarz. Er ist Dichter und Fahrradkurier. Er ist der aufregendste Mann, den ich je kennengelernt habe«, sprudelt es aus mir heraus, und ich denke: Gut, dass Leroy kein Deutsch versteht.
»Und Anne?«, wechselt mein Vater das Thema. »Ist sie denn jetzt gekränkt?«
Und ich dachte, ich sei ihm wichtig.
»Augenblick mal, vergiss nicht, sie hat mich rausgeschmissen! Und überhaupt, warum interessierst du dich mehr für deine Reisebekanntschaft als für mich? Was ist mit mir ?« Meine Stimme kippt. Ich muss wieder schlucken.
»Und?«, fragt er schließlich. »Was ist mit dir?«
Ich wünsche mir, ich hätte ein Telefon mit einer altmodischen Kordel in der Hand. Ich könnte sie zwischen meinen Fingern flechten, während ich mir eine Antwort überlege. Aber es ist nur mein Handy, und mir fällt nichts ein, um die interkontinentale Stille zu überbrücken.
»Ist Mama zu Hause?«
»Nein, die hatte um halb sechs noch einen Termin. Sie wollte zur Studienberatung.«
»Was? Zur Uni?«
»Ja. Im Herbst möchte sie noch einmal als Gasthörerin ein paar Vorlesungen anhören.«
»Wozu denn das? Sie ist doch auch so schlau genug.«
»Ja«, sagt mein Vater, »aber ich schätze, du wohnst nicht mehr lange bei uns. Und dann braucht sie etwas, womit sie sich beschäftigen kann. Sie sagt, die paar Stunden als Lehrerin füllen sie nicht mehr aus. Keine Ahnung, woher das auf einmal kommt.« Einen Moment lang ist es still. »Wir haben damit gerechnet, dass du bald von zu Hause weggehst. Wir reden schon lange darüber. Aber ich hoffe, du hast jetzt nicht vor, in New York zu bleiben.«
Er spricht ganz leise. Ich kann ihn kaum verstehen.
Ich versuche mir meine Eltern zusammen vorzustellen. Wie sie die Köpfe aneinanderlegen, wie sie seinen Nacken massiert, während es aus der Küche nach Lasagne duftet. Aber die Bilder sind alle schwarz-weiß. Vielleicht liegt es auch an mir. Ich passe nicht mehr in ihr Leben. Ein Puzzleteil, dem ein paar zusätzliche Ecken gewachsen sind.
»Jenny, was ich noch fragen wollte: Bringt dir die Zeit in New York denn etwas? Ich meine, außer deiner neuen Liebe? Hast du was Neues herausgefunden über deine Möglichkeiten?«
»Weiß nicht. Es sind so viele.«
Er atmet laut durch die Nase aus. Ich bin nicht sicher, ob es eher ein verschlucktes Lachen ist oder ein ungeduldiges Schnauben.
»Na, dann hab noch eine schöne Zeit. Aber vergiss vor lauter Begeisterung nicht, deinen Rückflug zu bestätigen.«
Ich überlege, ob ich ihm auch das sagen soll: Dass ich gestern im Büro der Airline war und eine Angestellte mit verkniffenem Mund und goldenen Uniformknöpfen gefragt habe, was es theoretisch kosten würde, mein Ticket umzubuchen, wenigstens um drei oder vier Wochen.
»Klar, ist notiert. Macht euch keine Sorgen. Und, Paps?«
»Ja?«
»Ach, nichts.«
14.
D ie nächsten Tage und Nächte verbringen Leroy und ich im Bett. Und verlassen es nur, wenn es sich wirklich überhaupt nicht vermeiden lässt.
Leroy entdeckt meinen Körper für mich mit. Es ist wie eine Expedition durch ein unbekanntes Land, das ich seit neunzehn Jahren bewohne, ohne eine Karte dafür zu haben.
»Ich liebe diese Stelle«, sagt er, »wo dein Po aufhört und dein Bein anfängt. Warum gibt es keinen Namen für sie?«
Seine Neugier macht mir Mut. Mut, ihn genauso zielstrebig zu erforschen. Ich stecke meine Nase in seine behaarte Achselhöhle, ertaste die weichen Stellen in seinen Kniekehlen, stecke meine Zunge in sein Ohr.
»Das kitzelt!«, schreit er, wirft mich herum, lässt mich schließlich über ihm sitzen. Wenn unsere Haut nicht von unterschiedlicher Farbe wäre, ich wüsste manchmal nicht mehr, wo sein Körper anfängt und meiner aufhört.
Es erregt mich, dass ich niemals die Initiative ergreifen muss. Dass er für alles sorgt: Kerzen auf dem Boden neben dem Futon, manchmal eine Flasche Wein. Ein Päckchen Kondome liegt griffbereit. Wir benutzen sie, ohne darüber zu diskutieren. Ich bin ihm dankbar für seine Selbstverständlichkeit. Woher soll ich wissen, mit welchen Frauen er schon im Bett gelegen hat? Der Gedanke daran macht mich im Nachhinein eifersüchtig. Der Gedanke an eine fremde Brustwarze zwischen seinen Lippen, seine Hände auf den Beinen eines anderen Mädchens. Da, wo die Schenkel in den Po übergehen, die namenlose Stelle.
Wir lieben uns beim Aufwachen, mit Blick auf Baumwipfel und eine braunrote Ziegelwand. Unser Atem steigt zur Decke, wo ihn der Ventilator aufnimmt und
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