Der Himmel über New York (German Edition)
mit der Luft vermischt.
Wir lieben uns am Nachmittag, wenn Leroy nach der Kurierschicht nach Hause kommt. Manchmal so ungeduldig, dass mir der Geruch nach Schweiß und Staub in die Nase dringt, wenn er sich aus seinen feuchten Kleidern schält und wir erst hinterher duschen gehen. Gemeinsam.
Und wir lieben uns in der Nacht, die niemals zur Ruhe kommt. Nur manchmal gibt es eine winzige Atempause, zwischen drei und vier, wenn die letzten Nachtschwärmer die Bars verlassen und bevor die ersten Schichtarbeiter aufbrechen, in die Großbäckereien, Schlachthöfe und Krankenhäuser. Wenn ich müde werde, schmiegt sich Leroy an meinen Rücken. Dann reibt er sich an mir, bis ich einsehe, dass er noch nicht genug hat. Dadurch komme ich wieder in Fahrt. »Du bist so sexy«, flüstert er, bevor wir wieder von vorne anfangen. So gedämpft wie es geht, um nicht die ganze Wohnung aufzuwecken.
Leroy sagt, dass er mich liebt. Er sagt es zu jeder Tageszeit, in jeder Lautstärke, mit geschlossenen und mit geöffneten Augen. Ich habe nicht lange auf diese Worte warten müssen. Er hat sie schon an unserem zweiten Tag ausgesprochen und sie waren so selbstverständlich wie seine Umarmungen und sein Lächeln. Genauso selbstverständlich kann ich ihm antworten. I love you, too . In einer fremden Sprache haben die Worte weniger Gewicht. Nicht, dass ich sie nicht von ganzem Herzen sage. Aber ich käme mir zu schäbig vor, wenn ich sie auf Deutsch aussprechen würde. Während Max …
Ich habe es ihm noch immer nicht gesagt.
Wenn ich jetzt E-Mails verschicken will, muss ich das Schlafzimmer nicht mehr verlassen. Leroy schaut mir über die Schulter, schmiegt sein Stoppelkinn in meine Halsbeuge. Jedes Mal, wenn die elektronischen Fanfaren aus den Lautsprechern neue Post ankündigen, möchte ich mir am liebsten die Hände vor das Gesicht halten, wie in einem Horrorfilm im Kino, und ganz vorsichtig zwischen meinen gespreizten Fingern durchschauen, ob eine Nachricht von Max dabei ist.
Er hat gesagt, er wolle schreiben. Bisher hat er es nicht getan. Ich erwarte und ich fürchte seine Mail, denn ich weiß ja nicht, was mich erwartet. Ein Geständnis. Eine Briefbombe, ein fest verschnürtes Bündel von Vorwürfen. Oder beides auf einmal.
Dafür schickt Paula täglich neue Nachrichten. Letzte Woche hat sie mir noch vorgeworfen, dass ich nicht zugreife, dass ich ein Abenteuer ausschlage. Jetzt will sie nicht glauben, dass Leroy aufrichtig ist mit mir. Wahrscheinlich wäre ihr eine verhängnisvolle Affäre lieber gewesen, bei der sie mich mit ihren altklugen Ratschlägen begleiten könnte. Dass ich glücklich bin, erträgt sie schwer. Okay, er sagt, er liebt dich. Aber die Amerikaner erzählen das jedem, das solltest du nicht ernst nehmen, schreibt sie.
Wenn sie nicht gerade neidisch ist, ist sie neugierig: Wie ist es denn nun wirklich mit einem Schwarzen? Sind sie bessere Liebhaber? Du weißt schon …
Liebe Paula, schreibe ich, ich kenne nicht alle Schwarzen. Ich kenne nur einen. Dann schildere ich ihr ausführlich, was wir alles miteinander anstellen.
Endlich habe ich etwas zu erzählen.
»Paula, wer ist das, ist das im Deutschen ein Mädchen oder ein Jungenname?«, fragt Leroy. »Was schreibst du ihr? Steht was über mich drin? Du musst es mir übersetzen!« Mit ein bisschen Fantasie ist das kein Problem, die schlüpfrigen Stellen lasse ich aus.
»Da steht aber viel mehr, als du gerade gesagt hast, der Text muss doch viel länger sein!«
»Ach, weißt du, Deutsch ist so kompliziert, deshalb braucht man fast doppelt so viele Worte wie im Englischen.«
An einem Morgen lege ich träge eine Hand auf den Männerbauch neben mir, fahre mit den Fingerspitzen hin und her und bin plötzlich hellwach. Im Halbschlaf hatte ich gedacht, es sei Max. Eine andere Haut, ein anderer Nabel, andere Haare. Ich ziehe meine Finger zurück, als hätte ich mich verbrannt, und Leroy murmelt verschlafen, dreht mir seinen Unterkiefer zu und seine breite Nase, seinen ausgeprägten Adamsapfel. Es ist, als würde ich in einem unbekannten Zimmer aufwachen, in einem Urlaub, auf den ich mich lange gefreut habe, und gleichzeitig merken, dass ich mein Flugticket und mein Hotelzimmer noch nicht bezahlt habe. Ich habe eine Rechnung zu begleichen. Ich muss Max anrufen. Heute. Sofort. Kaum kann ich es erwarten, dass Leroy sich anzieht, krachend den letzten Löffel Frühstücksflocken vertilgt, seinen Kurier-Rucksack schultert und den Kinnriemen des Helms festzieht.
Ich
Weitere Kostenlose Bücher