Der hinkende Rhythmus
diese Meldung in einer alten Zeitung gesehen, die ihr zufällig einige Tage nach dem Unfall in die Hände fiel. Im selben Augenblick war ihre Unruhe, über die sie noch nie nachgedacht, die sich jedoch irgendwo tief in ihr schlangengleich gewunden hatte, an die Oberfläche getrieben worden. Sie war zu den Nachbarn geeilt, hatte die Läden abgeklappert und alle alten Zeitungen, die sie fand, hastig durchgeblättert. Sie hatte eigentlich nach einer ganz anderen Meldung gesucht:
»Halil Mavioğlu, der neulich am Steuer eines Jeeps aus bisher unbekannten Gründen in die Baugrube eines Einkaufszentrums flog, konnte trotz aller Eingriffe der Ärzte nicht gerettet werden.«
Oder vielleicht nach einer Anzeige:
»Halil Mavioğlu hat nach einem tragischen Unfall das Zeitliche gesegnet. Die Beisetzung findet nach dem Nachmittagsgebet …«
Aber Güldane war weder auf eine solche Meldung oder Anzeige gestoßen, noch hatte sie weitere Einzelheiten erfahren. Die nagende Sorge, die sie verspürte, hatte sich trotzdem nicht gelegt, und ihre Herzschläge fanden nicht mehr zu ihrem alten, ruhigen Rhythmus zurück.
Schließlich wachte sie eines Morgens auf, zog ihr dunkelblaues Kleid an, löste ihre Zöpfe, kämmte ihr Haar, band es mit einem silbrig schimmernden Haargummi zu einem Pferdeschwanz, was bei ihr wirklich unüblich war, und machte sich auf den Weg.
Nun stand sie vor der Şişli-Etfal-Klinik, ihr Herz trommelte wie wild. Wie oft sie bis zum Eingang lief, um einzutreten, dann in letzter Minute ihre Meinung änderte und zurückkehrte, um es sich doch wieder anders zu überlegen und zum Gebäude zu laufen, weiß nur Gott. In einem Augenblick der festen Entschlossenheit, in dem sie den Atem angehalten hatte und bis zur Tür vorgedrungen war, erblickte sie einen Polizisten und wich panisch zurück. Dann wagte sie sich wieder hervor, wieder zur Tür und wieder zu ihrem Versteck … Sie kam und ging, blieb stehen und kehrte um. Ihr wurde bang, ihr wurde eng, es zog sie hin und stieß sie weg. Sie fand zweiunddreißig Ausreden, um einzutreten, und achtundzwanzig Gründe, zurückzukehren. Sie hätte bestimmt noch weitere gefunden, aber irgendwann reichte es ihr. Ihr war auch schwindlig geworden. In dieser Trunkenheit überließ sie ihren Körper den Füßen, und ihre Füße trugen sie zu einer Frau mit dunkelrotem Lippenstift, falschblonden Haaren, einer hellblauen Schürze und einer Flaschenbodenbrille:
»Hier muss ein Patient sein … Mit dem Namen Halil. Er hatte einen Unfall.«
Die Frau warf Güldane über ihre Brille hinweg einen Blick zu und fragte:
»Welcher Halil?«
Güldane schluckte und kaum war sie damit fertig, sagte sie schon: »Mavioğlu.« Und weil das alles so fix geschah, verschluckte sie sich, und schleuderte einen furiosen Husten direkt ins Gesicht der Frau. Die Frau nahm es ihr nicht übel, schaute sie nur überrascht an, und Güldane riss die Augen ganz weit auf und versuchte, ihren Hals zu befreien, indem sie mehrmals hintereinander schluckte. Und in diesem ganzen Schlamassel erfuhr sie die Zimmernummer: 312.
Güldane stieg in den dritten Stock, und auf Zehenspitzen, mit zusammengekniffenen Augen, ohne Atem, ohne Geräusch schwebte sie den Flur entlang. An 305, 306, 307, 308, 309, 310 ging sie wie im Traum vorbei, und gerade, als sie um die Ecke biegen wollte, sah sie aus der übernächsten Tür eine großgewachsene Frau mit langen Haaren heraustreten. Nach den Akten in ihren Händen und ihrer Haltung zu urteilen, musste sie Ärztin sein. Güldane schrumpfte zusammen, verschwand gänzlich, wartete, bis die Frau an ihr vorbeigegangen war. Sie war so winzig geworden, dass Müge sie nicht bemerkte und weiterlief, bis sie am Ende des Flurs ihrem Blick entschwand. Wieder allein und unbeobachtet, ging Güldane durch die Tür 312, oder vielmehr, sie floss hinein.
Halil lag mit Schläuchen im Mund und in den Nasenlöchern, Kabeln an Kopf und Brust und weißen Bandagen über den Augen wie ein Opfertier in einem Eisenbett in der Mitte des Zimmers. Das Serum tropfte rhythmisch. Sein Atem ging regelmäßig. Diese Ordnung der Dinge besänftigte ein wenig Güldanes Unruhe. Auch sie fing an, ohne es zu merken, mit Halil gleichzeitig ein- und auszuatmen. Ihr Körper schien leichter geworden, ihre Existenz im Zimmer nicht vorhanden zu sein. Wie eine sanfte Brise näherte sie sich dem Bett. Sie beugte sich herunter. Herunter zu Halil, der mit einem leichten Bart in seinem ausdruckslosen Gesicht reglos dalag. Wie
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