Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der hinkende Rhythmus

Der hinkende Rhythmus

Titel: Der hinkende Rhythmus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaye Boralıoğlu
Vom Netzwerk:
…«
    Güldane zuckte mit den Schultern.
    »Sag’s doch, mich juckt es nicht.«
    Yunus wurde richtig wütend.
    »Aber wenn ich auch noch andere Dinge sage, dann juckt es dich doch.«
    Güldane drehte sich ungestüm zu ihm um.
    »Was willst du denn sagen, he? Was willst du sagen? Komm, sag’s doch.«
    Yunus errötete und auf einmal entglitten seinem Mund Worte mit unbeschreiblicher Zauberkraft:
    »Wer ist Halil Mavioğlu?«
    Güldane stieg das Blut zu Kopf. Ihr war, als würde sie plötzlich splitternackt dastehen. Kannte die ganze Welt ihr Geheimnis? Dieser Gedanke brachte sie dermaßen aus dem Häuschen, dass sie mit einem Fingerschnipsen die Zigarette in die Gasse schleuderte und ihrem Bruder, noch bevor er Zeit fand zu fragen, was denn daran so schlimm sei, an die Gurgel ging.
    »Woher kennst du Halil Mavioğlu?«
    Güldanes Hände klammerten sich so fest um Yunus’ Hals, dass er kein Wort herausbrachte und nur verzweifelt zappelte. Sie wiederholte:
    »Woher weißt du es, du Nervensäge? Wer hat dir diesen Namen gesagt, he? Wer?«
    Es war sinnlos, dass Güldane Fragen stellte. Yunus hatte keine Möglichkeit zu antworten, er war nur damit beschäftigt zu überleben. Völlig außer sich wiederholte Güldane die gleichen Fragen mehrere Male. Dann aber sah sie, dass Yunus blau anlief und die Augen weit aufgerissen hatte, und ihr wurde klar, dass das so nicht funktionieren würde. Sie lockerte ihre Finger um Yunus’ Hals. Er hustete in einem fort und schimpfte und fluchte, was das Zeug hielt.
    »Du hast mich fast umgebracht! Zum Teufel mit dir! Du Brudermörderin! Bruder tot, Schwester vergammelt im Knast!«
    Und dazwischen immer wieder die derbsten Schimpfwörter und Gehuste. Güldane hatte zwar ihre Hände von Yunus’ Hals gelöst, aber ihre zornige Neugier hatte kein bisschen nachgelassen.
    »Woher kennst du diesen Namen?«, wiederholte sie.
    »Ich ersticke ja, wie soll ich dir antworten?«
    Güldane stand wutentbrannt auf, tauchte eine Kelle in die Regentonne und schüttete Wasser in seinen Mund. Yunus ging es danach noch schlechter.
    »Halt, was machst du da, du Idiot! Du drehst ja komplett durch!«, schrie er.
    »Sprich!«, herrschte ihn Güldane an.
    »Was du hier machst, nennt man Folter. Du bist ja schlimmer als die Bullen«, stöhnte Yunus. Jetzt wirkte sein Husten ein wenig gekünstelt.
    »Sprich!«, donnerte Güldane wieder.
    »Woher soll ich ihn kennen«, antwortete Yunus, »du versteckst diese Meldung in deinem Heft. Ich hab schon so oft gesehen, wie du dieses Stück Zeitung angestarrt hast.«
    Jetzt beruhigten sich beide ein wenig. Yunus wusste also nicht, was vorgefallen war. Es gab also kein riesiges Auge am Himmel, das alles beobachtete, was Güldane tat. Sie war also nicht nackt.
    Yunus fragte vorsichtig, einschmeichelnd:
    »Dein Geliebter?«
    »Was geht das dich an?«, schnauzte Güldane. »Irgendjemand, was geht das dich an? Und wenn du noch einmal in meinen Heften rumwühlst, drück ich dir diesen Hals so fest, dass du dalli dalli am anderen Ufer landest.«
    »Ich weiß«, sagte Yunus, seinen Hals massierend, der immer noch wehtat. Dann sah er mit fragendem Blick seine Schwester an.
    »Was guckst du?«
    Yunus schaute weiter, entschlossen, keine Aufdringlichkeit erkennen zu lassen. Güldane war ebenfalls entschlossen: sie wollte nichts erklären. Das Schweigen betonte die Beharrlichkeit der beiden. Schließlich war es Yunus, der aufgab.
    »Gut, dann frage ich eben nicht, aber unter einer Bedingung.«
    »Und die wäre?«, fragte Güldane mit gespielter Gleichgültigkeit.
    »Vorstellung«, sagte Yunus. »Wir müssen eine Vorstellung machen. Die Jungs fragen ständig danach. Ich bin auch völlig abgebrannt. Guck dir das mal an!«
    Yunus zeigte seine aufgerissenen Schuhe. Er wippte mit seinem großen Zeh, der aus dem Riss, ähnlich wie der Mund eines Haifisches, herausschaute. Beide fingen an zu lachen.
    Da drang aus dem Bad eine Serenade Cevdets heraus, eine Mischung zwischen Husten, Niesen und Hüsteln. Güldane hörte, dass ihr Vater sein Bett verlassen hatte, stand auf und antwortete Yunus, während sie an die Haustür klopfte: »Mal sehen.« Die Tür wurde geöffnet. Güldane trat hinein. Ihr Vater schaute sie nicht einmal an, sondern lief, die Serenade fortführend, ins Schlafzimmer und knallte die Tür zu. Seine Silhouette hinter dem Milchglas in der Tür war dann auch schnell verschwunden. Er war sicher aufs Bett gekippt und wahrscheinlich schon eingeschlafen. Und tatsächlich hob ein

Weitere Kostenlose Bücher