Der hinkende Rhythmus
folgenden Tagen lief erstaunlicherweise alles gut.
Güldane hatte einen ausgezeichneten Platz gefunden, um Blumen zu verkaufen: der Anfang einer schmalen Straße, die von Dolmabahçe nach Nişantaşı führte. Dort stockte der Verkehr immer so sehr, dass sie mit großer Seelenruhe zwischen den Autos spazierte, selbst entschied, auf welchen Wagen sie zugehen und mit wem sie sich nicht unnötig abmühen wollte, bei wem es sich lohnte, nicht gleich aufzugeben, und mit wem sie Lust hatte, sich länger zu unterhalten; und wenn es ihr zu viel wurde, wandte sie sich ab und lief auf ein anderes Auto zu. Meistens saß eine Frau am Steuer, die wahrscheinlich zum Einkaufen nach Nişantaşı unterwegs war. Deshalb musste sie erbärmliche Belästigungen von Männern seltener erdulden, die ihre Hand halten, ihr an den Busen grapschen oder in ihre Wange kneifen wollten. Gleich unterhalb der Straße lag der Maçka-Park. War sie sehr erschöpft und wollte etwas Luft schnappen, lief sie zum Park hinunter und konnte sich unter den mächtigen Bäumen ausruhen, indem sie ein Nickerchen hielt oder an einen Baumstamm gelehnt den Blick schweifen ließ. Sie hatte auch mit dem Kellner des Teegartens am Rande des Parks Freundschaft geschlossen. So konnte Güldane ihre Blumen dort in einem kleinen Lager deponieren, ein paar Sträuße zum Verkaufen mitnehmen und wenn sie ausverkauft waren, zurückkommen, um weitere abzuholen.
Der Kellner war um die vierundzwanzig, fünfundzwanzig, ein Spargeltarzan mit Pickeln und auch ein bisschen verknallt in Güldane. Güldane hatte zwar nicht das geringste Interesse an ihm, aber der unbedarfte Gesichtsausdruck des Jungen, seine etwas dämlichen Fragen, die Unschuldigkeit seiner immer halb offen stehenden Lippen und seine Schüchternheit gefielen ihr. Mittags schaute sie im Teegarten vorbei, um eine Kleinigkeit zu essen, und wenn sie sah, dass der junge Mann ihr einen belegten Toast machte, bekam sie richtig gute Laune. Güldane blieb nicht lange, damit die Chefs nicht meckerten; sondern legte sich unter einen Baum und zog manchmal ihren Rock unauffällig ein wenig höher und beobachtete heimlich kichernd, während sie die Schlafende mimte, die Patzer des Kellners, der immer wieder zu ihr hinüberschielte. Und manchmal aß sie dort nur ihren Toast, schloss die Augen, döste ein paar Minuten, hängte dann ihren Korb mit frischer Energie an den Arm und ging wieder arbeiten.
Yunus wiederum hatte sich völlig überraschend der Schule gewidmet. Mit Mathematik und Rechnen und dem ganzen Kram stand er weiterhin auf Kriegsfuß, aber für Fächer wie Geschichte und Geographie hatte er eine grandiose Lernmethode entwickelt. Er las den Lernstoff in Begleitung seines Tamburins mit tausendundeinem Rhythmus durch, sodass sich selbst das langweiligste Wissen über vergangene Zeiten auf den Pfaden seiner Melodien erhob und dehnte und körperlich wurde. Flüsse, die ein Delta bilden, bevor sie ins Meer münden, landwirtschaftliche Erzeugnisse in der ägäischen Region, von Macchia überzogene Landstriche, Regionen, wo der Sommer heiß und trocken und der Winter mild und regnerisch verläuft, gemäßigte Klimazonen, fruchtbare Senken, unsere Mineralvorkommen, unsere Sitten und Gebräuche, unsere Naturschätze, unsere Stammesführer, die vom mittleren Asien kamen und sich in Anatolien niederließen, die Tore von Wien, die wir belagerten, Großwesire, die erdolcht wurden, Sultane, die Abgesandten den Kopf abhacken ließen, Mustafa Kemal, der als Kind Raben verscheuchte, Mütter, die Munition an die Front trugen, arabische Schriftzeichen, lateinisches Alphabet und überhaupt die ganze Heimatkunde verwandelten sich in anmutige, liebreizende Kompositionen.
Diese glanzvolle Atmosphäre wurde dann noch gekrönt mit einer Meldung Cevdets: Er hatte Arbeit gefunden! Er sollte auf der Baustelle eines großen und luxuriösen Wohnkomplexes arbeiten. Die Nachricht wurde mit einem Freudenschrei begrüßt, nur huschten Güldane für einen Moment Bilder von Bau, Unfall und Halil durch den Kopf, aber als sie in die Arme ihres Vaters fiel, um ihm zu gratulieren, hatte sie es bereits geschafft, diese Gedanken fortzujagen.
So verging ein Tag nach dem anderen, bis eines Abends der Teufel auf Güldanes Schulter klopfte. Sie schlich sich an Yunus heran, der gerade mit Hilfe seiner zusammengesammelten Würmer das Einmaleins übte, und flüsterte ihm ins Ohr:
»Wollen wir morgen Abend eine Vorstellung machen?«
Yunus traute seinen Ohren
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