Der hinkende Rhythmus
Schnarchen an, noch bevor Güldane ihr Bett erreicht hatte.
Die dunkelbraunen Vorhänge waren fest zugezogen, das Zimmer lag im Halbdunkel. Güldane legte sich hin. Seit dem Unfall hatte sie keine einzige Vorführung mehr gemacht. Dieser Unfall musste irgendetwas in ihr ausgelöst haben, denn sie hatte ihren Körper, diesen Körper, den sie liebte, von dem sie ergriffen war, mit dem sie mit großer Lust spielte, vergessen. Sie nahm auch ihren eigenen Duft nicht mehr wahr. Sie beobachtete nicht mehr den Widerschein ihres Anblicks in fremden Augen. Sie hatte aufgehört, sich im Spiegel zu betrachten, und das Gleiten des Schaums auf ihrer Haut ließ sie kalt. Dabei mochte sie das so sehr und empfand in solchen Momenten eine unsägliche Lust! Das von Safiye gehäkelte blauweiße Seiftuch ließ sie mit Seife reichlich schäumen, wrang es gleich unterhalb ihres Halses aus und sah dann genüsslich zu, wie die weißen Schaumblasen an den schönen Windungen ihres Körpers entlangstrichen, als würden sie tanzen, und wie der Schaum auf seinem Weg nach unten allmählich seine Kraft verlor und feiner wurde. Manchmal setzte sie ihren Finger auf die Pfade der Schaumblasen, folgte ihnen über die Brüste, unter die Brüste, in die Vertiefung ihrer Taille, auf den Hügel ihrer Hüfte, sie kreiste um den Bauch, wanderte hinunter zu den Oberschenkeln, weiter zu den Waden; bis zu den Zehenspitzen zeichnete sie diesen Schaumweg nach. So lange, bis die Stimme von Yunus oder Safiye oder manchmal auch von Cevdet ihr zurief: »Komm doch endlich raus da, bist du ins Loch gefallen oder was?« Sie kümmerte sich nicht um den Protest, fuhr mit der Lobpreisung ihrer selbst fort, und erst dann, wenn alle draußen kurz davor waren, die Tür einzutreten, spülte sie die Seife rasch ab und tänzelte hinaus.
Aber der Unfall hatte diesen kleinen Spielen ein jähes Ende gesetzt. Eine allgemeine Schwunglosigkeit war über sie gekommen, und sie hatte nicht nur aufgehört, mit sich selbst zu spielen, sondern auch alle Forderungen ihres Bruders nach einer Vorstellung abgelehnt. Obwohl Cevdet im Gefängnis war. Die meisten Tage mussten sie aus Geldnot mit Kartoffelbrühe, Brot und Käse auskommen. Die Schulden an den Lebensmittelhändler waren berghoch angewachsen. Safiye klagte jeden Tag. Zwar verkaufte Güldane – natürlich in anderen Straßen – weiterhin Blumen, aber es war sehr schwer, mit dem Geld auszukommen, das Yunus mit seinem Tamburin an diesem und jenem Ort und Güldane mit ihren Blumen verdienten. Trotzdem wollte Güldane keine Vorstellung machen; es war ihr einfach nicht danach.
Was ihr in dieser seltsamen Zeit besonders guttat, war, ihren Vater zu besuchen. Vor dem Unfall war sie nur zweimal im Gefängnis gewesen. Sie hatte es nicht gemocht. Wer mag schon Gefängnisbesuche! Safiye hatte ständig danach gedrängt, aber Güldane hatte sich immer wieder mit einer faulen Ausrede vor dem Knast gerettet; einmal musste sie arbeiten, dann wieder hatte sie Kopfschmerzen, ein andermal war sie krank. Stacheldraht, Eisengitter, Uniformen der Gendarmen, Durchsuchungen, Leibesvisitationen, das alles war wirklich nicht nach Güldanes Geschmack. Die khakigraue Farbe, die sich sogar auf die Gesichter legte, die Geruchsmischung aus Beton, Nässe und Schweiß konnte sie nicht leiden. Das Treffen dauerte ohnehin nicht länger als ein paar Minuten, und selbst diese wenigen Minuten verstrichen im Herumgeschreie, in einem einzigen Pallawatsch.
Aber, man höre und staune, nach dem Unfall hatte Güldane, ähnlich den regelmäßigen Moscheebesuchen eines tadellosen Muslims, vergleichbar mit einer Wohltat zur Befreiung von Gewissensbissen, ganz so, als würde sie einen Zufluchtsort aufsuchen, damit begonnen, ins Gefängnis zu gehen. Jeden Besuchstag stand sie früh auf, packte ein, was sie auflesen konnte, ein wenig Verpflegung, ein paar Schachteln Zigaretten, eben das, was es zu Hause so gab, und machte sich auf den Weg. Wie ein Eremit, der seine Leidenszeit genießt, wartete sie in der Besucherschlange, wobei das Hin- und Hergeschubse von der Hand der Diensthabenden, das von den selbigen ausgeübte Gekneife, die Zurechtweisungen der Gendarmen und ihre auffressenden Blicke ihr das Gefühl gaben, dass sie eine Strafe erduldete, die erduldet, und eine Schuld beglich, die beglichen werden musste. Und dann sah sie endlich ihren Vater vor sich, und der Ausdruck Cevdets, der dem eines Kindes glich, seine Witze, die er von seinen Kameraden aufschnappte und sehr
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