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Der hinkende Rhythmus

Der hinkende Rhythmus

Titel: Der hinkende Rhythmus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaye Boralıoğlu
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25 Grad. Hat das Fernsehen gesagt. Ich habe es mit den eigenen Ohren gehört.«
    »Ich friere.«
    »Du meckerst schon wieder rum. Du warst immer so. Auch als Kind warst du so. Komm, steh auf, guck, ich hab dir Frühstück gemacht.«
    »Ich möchte nicht aufstehen.«
    »Du musst aber aufstehen. Man kann doch nicht Tag und Nacht im Bett liegenbleiben. Sonst wirst du bettlägerig.«
    »Zieh den Vorhang zu.«
    »Mach ich nicht. Wenn der Vorhang zu ist, schläfst du die ganze Zeit. Jetzt wirst du aufstehen, mein Sohn. Deine Mutter wird dich jetzt aus dem Bett holen.«
    »Zieh den Vorhang zu, meine Augen tun weh.«
    »Sie tun nicht weh. Guck, ich hab für dich Menemen gemacht.«
    »Ich mag Menemen nicht.«
    »Wie, du magst Menemen nicht? Du musst Eier essen, mein Sohn.«
    »Ich will keine Eier essen. Ich hasse Eier.«
    »Du wirst sie essen. Ich hab mir so viel Mühe gegeben. Du wirst sie essen.«
    »Werde ich nicht.«
    »Dann zwing ich dich zu essen.«
    »Lass das. Lass mich.«
    »Diesen Menemen wirst du essen. Mach den Mund auf, sonst murks ich dich ab!«
    »Lass mich … Ich er… er…sticke.«
    »Ich murks dich ab! Ich bring dich um! Du wirst die Eier essen!«
    .......
    »Ich murks dich ab … murks dich ab!«
    Halil wachte von seinem eigenen Geröchel auf. Er war schweißgebadet und hatte einen miserablen Eiergeschmack im Mund. Er legte die Hand an seinen Hals. Der Hals tat ihm weh. Die Haut war von Fingernägeln zerkratzt.
    Er berührte sein Gesicht. Da waren immer noch Bandagen auf seinen Augen. Er riss sie weg und warf sie fort. Vorsichtig öffnete er die Augen. Ein spitzer Lichtstrahl jagte hinein. Unter Schmerzen schloss er sie schnell wieder. Reglos wartete Halil eine Weile. Dann versuchte er es erneut. Jetzt hatte der Schmerz etwas nachgelassen und das Licht war von Weiß zu einem leicht gelblichen Ton übergegangen. Er gewöhnte sich langsam daran und versuchte es noch einmal und dann noch einmal. Er machte Übungen, indem er die Augen schloss und wartete und anschließend versuchte, sie etwas länger offen zu halten. Nach einer gewissen Zeit, von der er nicht wusste, wie lang sie gewesen sein mochte, war er so weit, dass er die Gegenstände in der Wohnung verschwommen ausmachen konnte. Das Bett … die geblümte Bettdecke … der Kleiderschrank mit der Spiegeltür … der rosenfarbene Teppich … der Holzstuhl …
    Halil stand mit Mühe auf, so entkräftet, dass er sich beeilen musste, die Hand auszustrecken, um sich an der Wand abzustützen. Seit zwei Tagen hatte er nichts gegessen und spürte nun zum ersten Mal großen Hunger.
    Die ersten zwei Tage nach seiner Heimkehr hatte Halil das Bett nicht verlassen. Der Gedanke, sich in der eigenen Wohnung wie ein Fremder zu bewegen, sich hier und da festhaltend, und die Möglichkeit, wie ein Trottel die Gegenstände anzurennen und alles in Trümmer zu legen, hatten ihn in einen bodenlosen Schlaf getrieben. Solange er schlief, konnten ihn nur seine Träume stören. Sein ganzes Dasein konnte er vergessen. Das Telefon in der Wohnung hatte mehrmals geklingelt und Müge hatte diverse Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hinterlassen:
    »Halil, bist du zu Hause? Ich möchte wissen, ob es dir gut geht.«
    »Halil … bist du da? Ich wollte wissen, wie es dir geht.«
    »Ich würde gern heute Abend bei dir vorbeikommen, ich hoffe, dir geht es gut.«
    Und am Abend hatte tatsächlich jemand an der Tür gestanden. Halil hatte nicht aufgemacht und stattdessen gerufen:
    »Im Moment passt es nicht. Ich kann nicht öffnen. Mir geht es gut, mach dir keine Sorgen. Wir sehen uns später.«
    Müge hatte ihn auch nicht weiter behelligt, ihm nur angeboten, sie jederzeit anzurufen, wenn er etwas brauche, und hinzugefügt, sie hätte ihm etwas zu essen mitgebracht und würde es vor die Tür stellen.
    Nachdem sie gegangen war, hatte sich Halil rücklings aufs Bett gelegt und Arme und Beine zu beiden Seiten ausgestreckt. Sein ganzes Umfeld, sein ganzer Körper, alles war schwarz. Er lag in solch tiefer Finsternis, dass sich seine Seele erhob, in der Hoffnung, ein wenig Licht zu finden. Jetzt konnte er im Liegen das überall umgestoßene Mobiliar und das große Durcheinander in der Wohnung sehen. Zwischen alledem lag, einer Leiche gleich, sein eigener Körper. Haare und Bart waren wild gewachsen. Er hatte violette Ringe unter den Augen. Er war kreidebleich. Richtig abgemagert. Trotz des ganzen Trainings im Krankenhaus glichen seine Muskeln, auf die er immer stolz gewesen war, deren Anblick er

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