Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der hinkende Rhythmus

Der hinkende Rhythmus

Titel: Der hinkende Rhythmus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaye Boralıoğlu
Vom Netzwerk:
Taxistand.
    Als er zu Hause ankam, ging es auf drei Uhr zu. Nach Abgabe des Autos war er in einer Kneipe eingekehrt. Bier tat gut. Dank einiger Gläser wurde der Stahlkäfig um sein Gehirn weicher und das Leben erschien ihm leichter. In einer der schmalen Gassen in Beyoğlu, in dieser heruntergekommenen Kneipe aus den achtziger Jahren, die Wände mit Fotos von Schauspielern vollgehängt, hatte er sich betrunken. Er hatte die ganze Zeit die Stammgäste mit geröteten Nasen angeschaut, die ewig die gleichen Sätze wiederholten, und den einäugigen Kellner, dessen Hemdkragen sich von Weiß zu Bleigrau verfärbt hatte und der mit roboterhaft eingeübten Gesten ohne ein einziges Wort bediente, auch die nicht mehr junge Animierdame, die womöglich in dem Nachtclub gleich weiter vorne arbeitete und sich vorher etwas antrinken wollte, und ab und zu auch die Quizsendung »Wer möchte fünfhundert Milliarden gewinnen«. Anfangs wollte er nur ein oder zwei Biere trinken, dann zwei oder drei und dann drei oder fünf.
    Vor seiner Tür dachte er nichts anderes als so schnell wie möglich hineinzugehen, den Kopf auf das Kissen zu legen und in einen ruhigen Schlaf zu fallen. Höchstens noch eine letzte Zigarette … Er holte seinen Schlüssel heraus, schloss auf und trat ein.
    Im selben Moment witterte er irgendetwas in der Wohnung, das ihm völlig unbekannt war, etwas Seltsames. Er versuchte, seinen Rausch abzuschütteln, und sah sich konzentriert um. Alles war an seinem Platz. Sein Bademantel, den er zum Trocknen über dem Stuhl ausgebreitet hatte, der Wasserkrug auf dem Tisch, das halbvolle Wasserglas, eine leicht verrutschte Decke auf der Couch, sogar die Kippe mit dem Lippenstift, von der Russin zurückgelassen … alles lag und stand genau so, wie er es verlassen hatte. Dem Anschein nach gab es nichts Außergewöhnliches, trotzdem spürte Halil etwas in der Luft, das anders war als sonst. Eine seltsame, sinnlose Sorge drückte auf sein Gemüt. Er verspürte den brennenden Wunsch nach einer Zigarette, nahm seine Packung heraus und steckte eine in den Mund. Feuerzeug? Er suchte in seinen Taschen, in den Schubladen der Schränke, unter, auf und zwischen jedem Kleinkram … Währenddessen kam eine große und einladende Müdigkeit über ihn, der er nur schwer widerstehen konnte. Es kostete ihn Mühe, sich nicht jetzt gleich, auf der Stelle, hinzulegen und einzuschlafen. Eine letzte Zigarette … Eine letzte, die ihm helfen würde, dieses Gefühl der Fremdheit in der eigenen Wohnung zu ertragen … Aber er konnte kein Feuerzeug finden. Doch auch dafür gab es eine Lösung: die Zigarette am Herd anzuzünden.
    Erst auf dem Weg zur Küche, erst jetzt, wurde Halil klar, was das Ungewohnte in der Wohnung war. Dieses seltsame Etwas in der Luft. Die Katastrophe, die ihn ins Feuer stürzen würde: alle Knöpfe des Herds waren bis zum Anschlag aufgedreht und die Wohnung war mit Gas gefüllt.
    In diesem Augenblick spürte Halil, dass sein Körper erlahmte, er spürte den ungeheuren Wunsch zu schlafen, nur noch zu schlafen. Er wusste, bis zum Fenster würde er es nicht mehr schaffen. Mit großer Anstrengung hob er einen Stuhl und schleuderte ihn dagegen. Die Scheibe kam mit lautem Klirren herunter und der eisige Nordostwind Istanbuls füllte die Küche. Halil hielt sich an diesem Wind fest und schleppte sich zum Fenster. Er atmete tiefe Züge frischer Luft ein. Mit der Kraft, die ihm der Sauerstoff verlieh, riss er alle Fenster und die Wohnungstür auf. Doch seine Energie schwand wieder; das Gas, das seine Lungen gefüllt hatte, betäubte sein Gehirn. Während er vor der Tür zusammensank, hörte er wie im Traum die Stimmen der Nachbarinnen, die aufgeschreckt von dem Glasklirren ins Treppenhaus eilten.

    »Du bist neugierig, oder? Du platzt vor Neugier.«
    .......
    »Du bist neugierig, wer es getan hat, wer den Herd aufgedreht hat.«
    .......
    »Soll ich’s dir sagen?«
    .......
    »Ich habe es getan!«
    »Du … was redest du da?«
    »Ich habe es getan. Ich habe die Knöpfe des Herds aufgedreht.«
    »Das kann nicht sein.«
    »Du glaubst nicht, dass ich sie aufgedreht habe, nicht wahr? Ich war’s eben. Ich habe die Knöpfe einen nach dem anderen aufgedreht. Als du weg warst, bin ich gekommen und habe es getan.«
    »Wie bist du in meine Wohnung reingekommen?«
    »Mütter kommen rein. Mütter können in die Wohnungen ihrer Kinder, wann immer sie wollen. Hast du das nicht gewusst?«
    »Ich will nicht, dass du in meine Wohnung reinkommst. Ich

Weitere Kostenlose Bücher