Der hinkende Rhythmus
will dich nicht sehen.«
»Guck, jetzt hast du wieder angefangen, schreckliche Dinge zu sagen. Deshalb hast du immer wieder Probleme. Du sagst deiner Mutter immer schreckliche Dinge.«
.......
»Du musst es lernen, deine Mutter zu umarmen, mein Sohn. Statt dass du dreckige Nutten umarmst, sollst du deine Mutter umarmen.«
»Du … woher weißt du das?«
»Ich weiß alles. Mütter wissen alles. Sie spüren es. Denn sie lieben ihre Kinder sehr. Sie spüren alles. Du hast diese dreckige Nutte angerufen, du hast mit ihr in deinem eigenen Bett, in diesem sauberen, reinen Bett geschlafen, dann hast du ihr Geld gegeben. Du hast dich gar nicht geschämt, ihr Geld zu geben.«
»Ich habe das gebraucht.«
»Du hast das gebraucht? Dass ich nicht lache! Was hast du gebraucht?«
»Zu umarmen, jemanden zu berühren.«
»Wo hast du das denn jetzt her! Du hast doch nie jemanden gebraucht. Nicht einmal mich. Hast du mich vielleicht einmal so richtig fest umarmt? Hast du einmal gesagt ›meine liebe Mama‹ und dich auf meinen Schoß gesetzt?«
»Du hast so schrecklich gestunken!«
»Unverschämt!«
»Hast du wirklich den Herd aufgedreht?«
»Natürlich. Sag ich ja.«
»Warum? Warum hast du das gemacht?«
»Um dich zu bestrafen. Weil du mit dieser dreckigen Nutte geschlafen hast, deswegen.«
»Und wenn ich gestorben wäre? Wenn ich das Feuerzeug gefunden und dann meine Zigarette angezündet hätte?«
»Kannst du eben nicht. Ich hab nämlich alle Feuerzeuge weggepackt.«
»Könnte ja eins bei mir haben, könnte ich aus der Tasche ziehen. Und wenn das Fenster nicht kaputtgegangen wäre, dann wäre ich erstickt, ich wäre gestorben.«
»Du kannst immer noch sterben. Bist ja noch nicht gerettet.«
»Ich will nicht sterben.«
»Brauchst keine Angst zu haben. Wenn die Zeit kommt, muss man schön sterben können. Guck, du bist schon fünfunddreißig.«
»Ich bin noch jung.«
»Ich hab nicht mal so lange gelebt. Nicht mal so lange wie du. Wenn man tot ist, gibt es keine Schmerzen mehr, weißt du? Du fühlst dich so leicht, so leicht hast du dich nie gefühlt, als du gelebt hast. So schwebend … ganz weich … wie Watte … wie eine kleine Feder im Wind … wie eine Feder …«
Halil wachte delirierend in einer unbekannten Wohnung auf. Da waren einige Frauen um ihn herum, deren Gesichter ihm bekannt vorkamen. Sie sahen einander an und sagten: »Er ist wach, er kommt zu sich!« Noch bevor Halil begreifen konnte, was los war, wurde ihm ein in Kölnisch Wasser getränktes Taschentuch aufs Gesicht geklatscht. Er zog es genervt weg. Eine etwas ältere Frau fragte:
»Geht’s dir gut, Junge? Kannst du mich hören?«
Halil öffnete die Augen und sah sich um. Er erkannte die Frauen. Sie waren seine Nachbarinnen. Sie schnappten einander das Wort weg und erklärten ihm das Geschehene.
»Erst haben wir ein Klirren gehört.«
»Du hast an der Tür gelegen.«
»Wir haben die Erdgasleute gerufen.«
»Gott bewahre, wir hätten alle in die Luft fliegen können.«
»Dann haben wir den Herd ausgemacht.«
»Keine undichte Leitung, haben die gesagt.«
»So ein Glück, du bist gerettet.«
»Wir wollten dich ins Krankenhaus bringen, aber …«
»Hast bestimmt bei jemandem was gut.«
»Warum hast du den Herd da so aufgedreht, mein Junge?«
»Wie die ganze Wohnung voll Gas war.«
»Ein wenig länger dagelegen und schon …«
Als sein Schwindel etwas nachließ, rettete sich Halil aus dem Kreis der Frauen. Er bedankte sich unbeholfen, bat um Entschuldigung. Die Nachbarinnen bestanden darauf, dass er sich noch etwas ausruhte. Doch dann sahen sie seine Entschlossenheit zu gehen ein und begleiteten ihn bis zur Tür. Halil hörte sich unzählige Ermahnungen an und ging zurück in seine Wohnung. Er schloss die Tür hinter sich. Endlich war er allein!
Alle Fenster standen offen, die Vorhänge flogen auf, es war eiskalt. Der Gasgeruch war inzwischen gänzlich verschwunden. Er wusch sich das Gesicht und schloss die Fenster. Die zerbrochene Scheibe ersetzte er durch Plastikfolie. Dann machte er sich gleich daran, die Wohnung zu durchsuchen, obwohl er nicht wusste, wonach er suchen sollte. Aber er fand es trotzdem schnell. Ein Feuerzeug. Es stand ziemlich gut sichtbar auf dem Wohnzimmerschrank. Dann entdeckte er auf der Kommode im Flur ein weiteres. Eine Brise der Glückseligkeit streifte sein Herz. Vielleicht, weil er sie nicht früher gefunden hatte, oder vielleicht, weil er jetzt sicher war, dass ihn seine Mutter angelogen
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