Der hinkende Rhythmus
das.«
»Und woher weiß ich das, bitte schön?«
»Das Glas!«
»Was für ein Glas?«
Halil konnte nicht mehr an sich halten. Er packte sie am Arm und schüttelte sie kräftig. Seine Wut konnte er nur schwer beherrschen.
»Die Glasscherben, die du in mein Kopfkissen gestopft hast. Spiel mir nicht die Dumme. Du hast sie da reingetan, ich weiß es. Du hast es getan, um dich zu rächen. Auch den Gasherd hast du aufgedreht. Du hast auch noch andere Dinge getan.«
Mit jedem Wort, mit jeder Pause zwischen den Wörtern, mit jedem Buchstaben, mit jedem Punkt wurde Halils Stimme um einen Ton lauter.
Doch Güldanes Schrei übertönte alles. »Lass meinen Arm los! Bist du wahnsinnig! Es tut weh. Lass los!«
Halil kam zu sich. Er lockerte seine Finger. Güldane rettete ihren Arm aus seinem Griff und entfernte sich einige Schritte von ihm.
»Du hast deinen Verstand verloren!«
»Mein … Verstand … ist … absolut … in … Ordnung …«
Halil verließen mit jedem Wort, mit jeder Pause zwischen den Wörtern, mit jedem Buchstaben, mit jedem Punkt seine Kräfte.
»Geh ins Bad!«, sagte Güldane.
»Was?«
»Los, geh«, wiederholte sie. »Geh ins Bad.«
»Warum?«
»Willst du nicht wissen, warum dein Gesicht so aussieht? Geh ins Bad … Dort ist die Antwort.«
Voller Zweifel, doch gleichzeitig besiegt von seiner Neugier wandte sich Halil zum Bad. Er öffnete die Tür. Er sah sich um … Badewanne, Kloschüssel, zersprungene Kacheln, Spiegel, die kleine Kommode neben dem Spiegel … Auf der Kommode ein Rasiermesser … Rasierseife … rote Flecken auf der Rasierseife … rote Flecken auf der Kommode … rote Flecken auf dem Rasiermesser … Er sah in den Spiegel. Im Spiegel war der Widerschein Güldanes.
»Du hast dich beim Rasieren geschnitten. Hast du es immer noch nicht kapiert?«
Halil fürchtete sich jetzt wie ein Kind. Er wollte ihr widersprechen.
»Rasiert … hab ich mich doch gar nicht.«
Güldane kam auf ihn zu. Sie stellte sich auf ihre Zehenspitzen und versuchte, über seine Schulter das Bild im Spiegel zu sehen.
»Hast du«, sagte sie. »Guck mal richtig in dein Gesicht … klar hast du dich rasiert.«
Halil sah sich an. Für einen Moment fiel er in eine tiefe Dunkelheit. Dann tauchte er wieder auf. Das Mädchen hatte recht. Das Gesicht vor ihm war rasiert. Er hastete ins Schlafzimmer. Das Kissen? Es gab kein Kissen mit Glasscherben. Im Tausendstel einer Sekunde stellte er das Zimmer auf den Kopf, aber ein solches Kissen gab es nicht.
Er lief ins Bad zurück. Güldane hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Halil drehte den Wasserhahn zornig bis zum Anschlag auf und wusch sich mit schneidigen Gesten das Gesicht, reinigte es vom getrockneten Blut. Dann holte er tief Atem. Er fasste Güldane am Arm …
»Los«, sagte er, »wir gehen.«
Irgendwo in der Tiefe der Seele Güldanes geisterte ein eigenartiges Siegesgefühl herum. Sie widersprach nicht. Halil schubste sie wütend vor sich her. An der Tür angekommen, wurde ihm plötzlich etwas klar.
»Halt!«, sagte er.
Güldane sah ihn verblüfft an.
»So können wir nicht gehen.«
»Warum?«
»Denn …« Halil war unentschlossen, ob er seine Zweifel aussprechen sollte.
Eine Weile blieben sie vor der Tür stehen. Bis es Güldane zu lang wurde.
»Ich gehe«, sagte sie und machte einen Satz zur Tür.
Halil hielt sie eilig auf. »Nein, das geht nicht!«
Güldane fragte dieses Mal mit wachsender Ungeduld:
»Warum?«
»Wenn …«, sagte Halil, »du es nicht kennst, also dich hier … wirklich nicht auskennst … dann … also so … also wenn du so rausgehst …«
»Ach sooo …«, rief Güldane. »Du hast Angst, dass ich dann deine Adresse erfahre.«
Halils Miene verdunkelte sich.
Güldane genoss die Situation unbeschreiblich. Sie fühlte, dass sie alle Fäden in der Hand hatte, und war ganz offen stolz auf sich, weil sie eine solche Marionette besaß. Einen vergleichbaren Gaumenkitzel hatten ihr bisher nur die Vorführungen mit Yunus beschert. Der hinkende Rhythmus des Tamburins schwoll auch schon langsam irgendwo in ihrem Kopf an. Ihre Worte wurden von diesem Rhythmus begleitet.
»Wenn du willst, kannst du mir die Augen zubinden«, sagte sie und sah ihm dabei direkt ins Gesicht.
Halil fand nichts, wohin er mit seinem Blick fliehen konnte.
»Ach, klar … Wenn meine Hände frei sind, kann ich ja meine Augen öffnen, wann immer ich will, oder? Während du fährst, zum Beispiel … Hm … Ach, was sollen wir jetzt machen?«
Sie tippte mit
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