Der Hinterhalt
weiter und so fort. Jedes Bild zeigte ein anderes Gesicht, eine andere Pose, eine andere Ethnie, eine andere Religion. Jedes Bild zeigte einen weiteren Menschen, jeder einzelne attraktiv, aufmerksam, ernst und doch lächelnd. Die Bilder waren bei jedem Vortrag, dem ich bislang beigewohnt hatte, dieselben gewesen. Sie sollten Hoffnung verkörpern. Hoffnung für die Jugendlichen, dass sie dieses Leben würden meistern können, Hoffnung, dass sie überleben würden. Hoffnung, weil sie nicht allein waren. Ich weiß noch genau, wie viel mir das bedeutet hatte.
Ich erinnere mich, wie alle plötzlich verstummten, wenn ich als Kind einen Raum voller Erwachsener betrat. Mir war klar, dass sie über irgendetwas gesprochen hatten, über irgendetwas Wichtiges, doch sie ließen mich darüber im Unklaren. Matt führte die anwesenden Jugendlichen durch einen ganzen Zyklus von Emotionen, von Angst zu Wut, von Wut zu Hass, von Hass zu Hoffnung. Das Ganze wirkte ein wenig geglättet, ein wenig vorgefertigt und einstudiert, doch es war geniales Marketing. Ich wusste, wie man tötet. Matt wusste, wie man jemanden dazu bringt, töten zu wollen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er mehr Blut an den Händen hatte als ich. Ich erinnere mich noch genau, wie ich mit sechzehn von dieser Veranstaltung nach Hause ging – vor Wut schäumend, bereit, mit dem Töten zu beginnen. Der Vortrag gab mir ein Ziel. Ich war sechzehn. Alles, was ich wollte, war ein Ziel. Jetzt saß ich da, verfolgte Matts kleine Präsentation und empfand nichts. Inzwischen hatte ich meine eigenen Gründe, weshalb ich den Feind hasste. Ich brauchte keine Diashow mehr. Das macht der Krieg mit einem.
»Irgendwelche Fragen?«, erkundigte sich Matt, als er das Licht wieder einschaltete. Er sagte das ganz beiläufig, als habe er den Jugendlichen soeben erklärt, wie man einen Wäschetrockner bedient. Ab jetzt konnte die Unterweisung zwei unterschiedliche Richtungen einschlagen, je nachdem, wer die erste Frage stellte. Ryan hob die Hand. Er wohnte hier. Mir war klar, was er fragen würde, bevor er seine Frage stellte. Ich hatte bereits Dutzende Male Jugendliche wie ihn mit ein und derselben Frage den Reigen eröffnen hören. Er wollte tapfer sein. »Ja, Ryan?«
»Wann fangen wir an?«, wollte Ryan wissen. Erst nachdem er die Worte ausgesprochen hatte, wurde ihm bewusst, welche Angst sie ihm machten. Seine Worte jagten ihnen allen eine Heidenangst ein. Matt konnte keinen Zeitpunkt nennen, der nicht zu früh gewesen wäre. Und doch war das die Frage, die gewöhnlich gestellt wurde und die die andere Frage – die Frage, die wir beantworten mussten – hinter von Gruppenzwang erzeugtem Draufgängertum verbarg. Ja, in der Regel wird die Frage nach dem Wann gestellt, denn wenn einem jemand ins Gesicht schlägt, ist der erste Instinkt nicht zu fragen, warum, sondern Schmerz und Wut zu empfinden und zurückschlagen zu wollen. Letztendlich fragt man sich dann, warum. Das Warum kommt immer. Das ist unvermeidlich. Deshalb versuchten wir immer, diese Frage hier zu beantworten, bei der ersten Unterweisung, denn wenn man den Jugendlichen ein Warum nennt, werden sie womöglich gar nicht versuchen, eine eigene Antwort darauf zu finden. Wir lösten dieses Problem jedoch geschickt. Wir bemühten uns, nichts zu erzwingen, da es besser funktionierte, wenn sie zuerst fragten. Auf diese Weise hatten sie das Gefühl, es sei von ihnen selbst gekommen. Also brachten wir es erst ganz zum Schluss zur Sprache und nur dann, wenn niemand fragte.
»Joseph?« Matt sah mich an. Ich war nicht bereit. Das war ich nie. »Könnten Sie das vielleicht beantworten?« Bereit oder nicht, ich war an der Reihe. Ich hatte eigentlich nur eine Aufgabe: diesen Jugendlichen die Einsatzregeln zu erklären. Anschließend war ich bloß noch da, um ihre Fragen zu beantworten.
Ich ging zum vorderen Ende des Raums. »Du kannst recht bald loslegen, Ryan«, antwortete ich ihm. »Ich werde euch sämtliche Regeln dieses Krieges erklären. Nachdem das erledigt ist, Ryan, sollte deine Frage beantwortet sein.« Meine Stimme klang nicht wie meine eigene. Wenn ich zu den Jugendlichen sprach, hatte ich immer den Eindruck, wie jemand anders zu klingen. »Die Regeln sind ganz einfach. Sie sind einfach, aber sie sind unabänderlich, und die Strafen für das Brechen dieser Regeln sind hart. Also hört genau zu.«
Eine der Jugendlichen hob die Hand. Ich gab ihr zu verstehen, dass sie fragen konnte. »Wie kann ein Krieg Regeln haben?«,
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