Der Hinterhalt
wollte sie wissen. In den Gesichtern aller war Skepsis zu erkennen. Das war kein Wunder. Sie hatten sich soeben zwei Stunden lang anhören müssen, dass ihr Feind böse sei. Dass er um jeden Preis vernichtet werden müsse. Und jetzt kam ich und erzählte ihnen, es gäbe Regeln.
Ich war auf die Frage vorbereitet. Ich hatte die Antwort gehört, als ich sechzehn war. Seitdem hatte ich sie selbst viele Male gegeben. »Jeder Krieg hat Regeln«, erwiderte ich. »Ich weiß, das scheint ein Widerspruch in sich zu sein. Warum sollten wir Regeln befolgen, wenn wir gegen Leute kämpfen, die unsere Angehörigen ermordet haben?« Die Jugendlichen nickten zustimmend. »Tatsache ist, ohne Regeln herrscht Chaos. Und wenn Chaos herrscht, kann niemand gewinnen. Wir befolgen die Regeln, weil uns diese Regeln helfen zu gewinnen.«
»Und warum befolgen die anderen sie ebenfalls?«, fragte einer der Jugendlichen.
»Aus demselben Grund«, erwiderte ich. »Weil sie glauben, dass die Regeln ihnen dabei helfen werden zu gewinnen, aber wir wissen es besser.« Ich verriet ihnen nicht den wahren Grund, weshalb ich die Regeln befolgte. Ich befolgte sie, weil sie das Einzige waren, was mich daran hinderte, verrückt zu werden. Auch wenn die Regeln keinen Sinn ergaben, so waren sie zumindest Regeln. Sie existierten, Inseln der Vernunft in diesem absurden Ozean. Ich fuhr mit meiner Erklärung fort: »Regel Nummer eins: keine Unbeteiligten töten. Die große Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten weiß nicht, dass dieser Krieg vor ihrer Nase tobt. Sie müssen um jeden Preis geschützt werden. Keine Kollateralschäden. Auf das Töten eines Unbeteiligten steht die Todstrafe, vollzogen durch unsere Seite oder ihre. Keine Ausreden. Keine mildernden Umstände.«
»Was ist, wenn es sich um einen Unfall handelt?«, fragte einer der Jugendlichen.
»Unfälle gibt es nicht«, entgegnete ich schnell und fuhr fort: »Regel Nummer zwei: Es wird niemand getötet, der jünger als achtzehn Jahre ist, ganz egal, auf welcher Seite er steht. Bis ihr achtzehn werdet, geltet ihr als Unbeteiligte. Deshalb wird das Töten von Personen unter achtzehn, auch wenn es sich um einen Feind handelt, ebenfalls mit dem Tod bestraft. Die logische Folge aus dieser Regel lautet, dass niemand, auf keiner Seite, eine Rolle in diesem Krieg spielen kann, bevor er achtzehn wird. Also, Ryan« – ich wandte mich kurzzeitig direkt an ihn – »du wolltest wissen, wann du loslegen kannst. Nun, du kannst an dem Tag loslegen, an dem du achtzehn wirst.« Ich hielt einen Augenblick inne und überlegte, ob ich fortfahren sollte oder nicht, ob ich noch dicker auftragen sollte oder nicht. Ich kam zu dem Schluss, dass sie es hören sollten. Also fügte ich hinzu: »Ihr werdet loslegen, sobald ihr achtzehn seid, ob ihr es wollt oder nicht. Bis dahin, in den nächsten zwei Jahren, werdet ihr ausgebildet. Ihr werdet auf den Wandel vorbereitet. Eure Freikarte ist fast abgelaufen.« Achtzehn Jahre waren nicht lang genug. Keine Zeitspanne würde jemals ausreichen. Die nächsten zwei Jahre würden für diese Jugendlichen die Hölle sein. Sie würden körperliches und emotionales Training über sich ergehen lassen müssen. Ihnen würde beigebracht werden, wie man tötete und wie man sich davor schützen konnte, getötet zu werden. Sie würden Dinge sehen, die sie sich noch nicht einmal vorstellen konnten, Dinge, von denen sie sich wünschen würden, sie hätten sie niemals gesehen. Noch waren diese Jugendlichen dafür nicht bereit, aber der Zeitpunkt würde kommen.
»Das sind die beiden wichtigsten Regeln. Alle anderen Regeln ergeben sich aus diesen beiden. Es gibt allerdings noch eine dritte wichtige Regel, die ihr kennen müsst.« Die dritte Regel. Ich habe nie allzu viel über die dritte Regel nachgedacht. Ich habe mir nie wirklich die Zeit genommen, um mir Gedanken über ihre grausame Funktionalität zu machen. Mein Fehler. »Die dritte Regel ist aufgrund dessen erforderlich, wie sich die ersten beiden Regeln auf den Krieg auswirken. Eigentlich ist sie ganz einfach. Ihr dürft keine Kinder bekommen, bevor ihr achtzehn seid. Kann irgendjemand erklären, warum diese Regel nötig ist?« Ein Mädchen hob die Hand. Ich gab ihr zu verstehen, dass sie sprechen solle.
»Wenn man Kinder bekommen dürfte, bevor man achtzehn ist, würde niemand jemals den Krieg gewinnen.«
Scharfsinnig. »Und warum?«, fragte ich.
»Na ja, wenn man jemanden nicht töten darf, bevor er achtzehn ist, und die anderen immer
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