Der Hinterhalt
wieder Kinder bekommen, bevor sie selbst achtzehn sind, wie sollte man sie dann jemals stoppen können? Sie würden einfach immer mehr werden.«
»Genau. Deshalb brauchen wir die dritte Regel. Wenn also irgendjemand auf einer der beiden Seiten ein Kind bekommt, bevor er achtzehn wird, muss dieses Kind der anderen Seite ausgehändigt werden.«
»Wird es dann getötet?«, fragte das aufgeweckte Mädchen.
»Nein, es wird nicht getötet. Weder von uns noch von den anderen. Die andere Seite adoptiert es und zieht es groß, als wäre es ein eigenes. Wenn ihr also diese Regel verletzt, vergrößert ihr damit die Population der anderen Seite, anstatt die eigene zu vergrößern. Anstatt unsere Seite stärker zu machen, macht ihr die andere Seite stärker. Irgendwann wird dieses Kind erwachsen. Es wird erwachsen, tritt in den Krieg ein und kämpft. Es wird erwachsen und wird seine Eltern, seine Brüder und seine Schwestern bekämpfen.« Ich ließ den Blick durch den Raum und über die geschockten Gesichter schweifen. Es bestand kein Zweifel daran, dass sie diese Form der Bestrafung schon jetzt grausamer fanden als den Tod. Ich wartete, bis sich das gesetzt hatte, ehe ich fortfuhr. »So lauten also die Regeln. Das ist alles. Drei Regeln, die ihr nicht missachten dürft. Drei Regeln, die ihr nicht vergessen dürft. Drei Regeln, an die ihr euch halten müsst. Bei allem anderen, was ich euch heute sage, handelt es sich nur um Methoden. Also, wer von euch hat schon erraten, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene?«
Ein paar Hände gingen hoch, und ich rief wahllos jemanden auf. »Sie töten Menschen.«
»Das stimmt«, erwiderte ich. »Ich bin ein Soldat.« Ein Soldat. So wurden wir genannt. Ich, Michael, Jared, wir waren Soldaten. Auf diese Bezeichnung hätten wir stolz sein sollen. Dann erklärte ich den Jugendlichen, in welche unterschiedlichen Rollen sie vielleicht eines Tages hineinwachsen würden. Sie mussten nicht in meine Fußstapfen treten. Wir gliederten unsere Seite in drei Grundkategorien. Welcher Kategorie man sich anschloss, hing davon ab, was man sich wünschte und wie gut man für eine bestimmte Rolle geeignet war. Viele wechselten mit zunehmendem Alter von einer Kategorie in eine andere. Bei der ersten Kategorie handelte es sich um die der Soldaten. Ich hatte den Wunsch, Soldat zu werden, kurz nach meiner Informationsveranstaltung im Alter von sechzehn Jahren geäußert. Ich dachte damals, das sei cool. Soldaten stehen im Krieg an vorderster Front. Soldaten sind die Offensive. Soldaten sind unmittelbar mit dem Feind konfrontiert und dafür verantwortlich, ihn zu schlagen. Wie der Jugendliche es formuliert hatte, wir töten Menschen.
Selbstverständlich ist das Töten nie so einfach, wie es klingen mag. Ich konnte nicht einfach losziehen, Feinde ausfindig machen und sie töten. Man braucht einen Schlachtplan. Zunächst muss man wissen, wer in der breiten Masse zum Feind gehört. Das herauszufinden ist gar nicht so einfach. Feinde gibt es nämlich in allen Größen und Gestalten, ethnischen Abstammungen und Religionszugehörigkeiten. Nur wenn man ihre Herkunft weit genug zurückverfolgt, findet man heraus, dass sie alle miteinander verwandt sind. In der Geschichte dieses Krieges haben beide Seiten erfolgreich die Strategie angewendet, Mitglieder zu verbergen, indem sie Genpools diversifizierten. Was haben sie also gemein? Ein paar Gene und einen gemeinsamen Feind: mich, meine Freunde, meine Familie, diese Jugendlichen. Und wie machen wir sie ausfindig? Das ist die Aufgabe der zweiten Kategorie, des Geheimdiensts. Zum Geheimdienst gehören Leute wie Matt. Beim Geheimdienst gibt es viele verschiedene Jobs: Ahnenforscher, Übersetzer, Pädagogen, Marketing-Gurus, Militärstrategen, Computerspezialisten. Die Liste ist lang. Der Geheimdienst stellt die größte Gruppe dar. Seine Mitarbeiter sind es, die mir, Michael und Jared sagen, wen wir töten sollen. Manchmal verraten sie uns, warum, manchmal bleibt es geheim. Außerdem kümmern sie sich um die Ausbildung und das Training. Sie bringen uns bei, wie man tötet, und dann sagen sie uns, bei wem wir üben sollen.
Die dritte Gruppe bilden die Undercover-Leute. Wir bezeichnen sie einfach als »Züchter«. Ihre Aufgabe ist es, sich vollständig ins Alltagsleben einzugliedern, sich bedeckt zu halten und sich alle Mühe zu geben, normale Familien zu gründen. Sie sind diejenigen, die dafür sorgen, dass sich unsere Zahl nicht verringert. Selbstverständlich laufen sie
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