Der Hinterhalt
sprach zu allen. »Es sei denn, wir hindern sie daran.«
Ich hätte fortfahren können. Ich hätte sie fragen können, ob ihnen das als Grund genüge. Doch das musste ich nicht. Ich erkannte es in ihren Blicken, sogar im Blick des Mädchens, das die Frage gestellt hatte. Ich hatte sie nicht beantwortet. Ich hatte etwas Besseres getan. Ich hatte sie entkräftet. »Reicht das etwa nicht?«
Einen Moment später sagte ich: »Ich habe noch zwei Fotos, die ich euch zeigen möchte.« Wir mussten sie behutsam einführen, aber wir mussten ihnen auch einen Vorgeschmack geben. Ich gab Matt ein Zeichen. Er drückte eine Taste auf seinem Computer. An der Wand leuchtete die Nahaufnahme des Gesichts eines Mannes auf. An dem Bild war nichts Außergewöhnliches. Es handelte sich um einen etwa fünfunddreißigjährigen Weißen. Er war untersetzt und hatte Geheimratsecken. Auf dem Foto lächelte er, doch sein Lächeln war nicht freundlich. Es war ein Lächeln voller Bosheit. Der Geheimdienst hatte ein gutes Bild für seine Zwecke ausgewählt. »Dieser Mann heißt Robert Gardner.« Die Jugendlichen starrten das Gesicht an. »Als ich zwölf war, tötete dieser Mann meinen Onkel. Ich war damals bei ihm. Mein Onkel war mit mir zum Einkaufszentrum gefahren, um mir einen neuen Baseballhandschuh zu kaufen. Wir gingen zusammen durchs Einkaufszentrum, und ich blieb stehen, um mir die Hunde im Schaufenster einer Tierhandlung anzusehen. Als ich mich wieder umdrehte, war mein Onkel verschwunden. Sie waren gekommen und hatten ihn gepackt, als ich gerade nicht hingesehen hatte. Meine Eltern mussten kommen und mich abholen, nachdem ich im Einkaufszentrum stundenlang nach meinem Onkel gesucht hatte. Niemand sagte mir damals, dass sie ihn bereits im Müllcontainer hinter dem Restaurantbereich gefunden hatten, bevor ich meine Suche aufgab. Die Männer, die ihn gekidnappt hatten, hatten ihm den Hals vom einen Ohr zum anderen aufgeschlitzt.« Niemand im Raum gab auch nur einen Ton von sich. Er war mein Lieblingsonkel gewesen. Ich hatte ihn sehr gemocht. Im einen Moment war er bei mir, im nächsten war er verschwunden, und ich war allein. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Du weißt nicht, wie das ist, Maria. Diese Jugendlichen wussten es jedoch. »Als ich achtzehn wurde, erzählten sie mir, was passiert war. Und sie sagten mir, wer es getan hatte.« Ich richtete den Blick wieder auf das Foto an der Wand. Dann wandte ich mich Matt zu und nickte. Er drückte eine Taste, und das nächste Foto erschien. Es zeigte denselben Mann. Diesmal war allerdings eines seiner Augen zugeschwollen. Sein Unterkiefer hing herab, sein Mund stand offen, und seine Zunge war blau angelaufen. Auf seiner rechten Wange befand sich eine tiefe Schnittwunde. Die Pupille seines offenen Auges war geweitet, aber leblos. »Dieser Mann heißt Robert Gardner. Er hat meinen Lieblingsonkel ermordet. Als ich achtzehn wurde, sagten sie mir, wer er ist und wo er wohnt.« Ich deutete auf das groteske Foto an der Wand. »So sah er aus, als ich mit ihm fertig war. Ich war achtzehn, und er war der erste Mensch, den ich tötete. Nachdem ich mit ihm fertig war, konnte er nie wieder einen von uns ermorden.« Ich blickte mich in dem Raum voller Jugendlicher um. Sie alle starrten Robert Gardners kaputtes, lebloses Gesicht an. Ein paar von ihnen sahen aus, als müssten sie sich übergeben. Das war zu erwarten gewesen. Sie hatten an diesem Tag eine Menge gesehen. Sie hatten mehr gesehen, als die meisten Menschen verkraften konnten. Aber nur ein paar von ihnen wirkten geschockt. Die übrigen wirkten inspiriert. Ich sah Matt an. Er beobachtete schweigend die Reaktion jedes einzelnen Jugendlichen. Die Inspirierten waren einen Schritt näher daran, Killer zu werden.
VIERTES KAPITEL
Am nächsten Morgen musste ich planmäßig meinen Ansprechpartner beim Geheimdienst kontaktieren. Es war jedes Mal dieselbe Prozedur. Bleibe in deiner sicheren Unterkunft, bis dein Job erledigt ist. Warte auf den richtigen Zeitpunkt. Setze dich mit dem Geheimdienst in Verbindung, um dir deinen nächsten Auftrag geben zu lassen. Rufe immer von einem Festnetzanschluss an. Vergewissere dich, dass niemand zuhört.
Jedes Mal, wenn ich anrief, klang die Frau am anderen Ende der Leitung wie die Rezeptionistin einer x-beliebigen Firma. Nachdem sie meinen Anruf entgegengenommen hatte, fragte ich drei Telefonistinnen hintereinander nach drei verschiedenen Personen. Nach jeder Anfrage wurde ich zur nächsten Telefonistin durchgestellt.
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