Der Hinterhalt
schütteltest den Kopf. »Ihr Blutdruck ist nämlich extrem hoch. Der Autounfall, den Sie hatten, könnte die Ablösung verursacht haben, und womöglich hatten Sie bislang keine Symptome, weil sie durch Ihren hohen Blutdruck plötzlich verschlimmert wurde. Hatten Sie in letzter Zeit großen Stress?«, wollte der Arzt wissen. Ich sah dich an. Du wusstest nicht, wie du seine Frage beantworten solltest. Stress beschrieb nicht einmal ansatzweise das, was du durchmachtest, Maria. Dabei spielte es keine Rolle, dass wir seit Monaten keinen unmittelbaren Gefahren mehr ausgesetzt gewesen waren.
»Ein bisschen«, antwortetest du, als Kompromiss zwischen der Wahrheit und einer unverschämten Lüge.
Der Arzt nickte. »Ich gebe Ihnen noch ein paar Stunden lang Infusionen«, sagte er. »Die Blutung ist offenbar zurückgegangen, aber wir sollten Sie trotzdem noch beobachten. Recht viel mehr können wir im Moment nicht tun. Ich werde Ihnen etwas gegen Ihren hohen Blutdruck verschreiben. Das wird womöglich helfen. Darüber hinaus müssen Sie alles daransetzen, um Stress zu vermeiden.« Der Arzt sah mich erneut an, als sei ich die Ursache für all deinen Stress gewesen. Vermutlich hatte er in dieser Hinsicht recht. »Außerdem sollten Sie versuchen, möglichst wenig auf den Füßen zu sein. Mir ist klar, dass Bettruhe in diesem frühen Stadium Ihrer Schwangerschaft nicht möglich ist, aber geben Sie sich Mühe. Verzichten Sie unbedingt auf anstrengende Aktivitäten.«
Ich hätte ihn gern gefragt, was wir tun sollten, wenn das nicht möglich war. Was sollten wir tun, wenn wir im wörtlichen Sinn um unser Leben laufen mussten? Was sollten wir tun, wo wir doch wussten, dass uns Stress bevorstand, obwohl wir alles taten, um ihn zu vermeiden? Ich wollte brauchbare Antworten auf Fragen bekommen, die ich nicht zu stellen wagte. »Das ist alles?« war die einzige Frage, die mir einfiel.
»Das ist alles«, erwiderte der Arzt. »Halten Sie sich daran, und hoffen Sie das Beste.« Er sah uns abermals über sein Klemmbrett hinweg an und lächelte. »Die gute Nachricht lautet, dass der Herzschlag kräftig ist. Das Baby ist kräftig.« Er hielt inne. »Wurde Ihnen nach der Ultraschalluntersuchung das Geschlecht Ihres Babys gesagt?«, fragte er dich.
Wir sahen uns an. Ich ließ dich antworten. »Denken Sie, das Baby ist gesund?«
»Ich kann Ihnen nichts versprechen«, erwiderte der Arzt. »Eine Schwangerschaft ist immer eine ungewisse Sache. Die Chance, dass Sie Ihr Kind austragen, ist nicht sehr hoch. Aber Ihr Baby macht einen kräftigen Eindruck. Es gibt sein Bestes. Es muss nur noch zwei Monate durchhalten, um lebensfähig zu sein.«
»Dann möchte ich es wissen«, sagtest du zu ihm.
»Ihr Baby wird ein Junge«, erwiderte der Arzt. Es wird ein Junge, Maria. Wir bekommen einen kleinen Jungen. Ich hätte meiner Begeisterung gern freien Lauf gelassen, doch mit einem Mal erschienen mir die Risiken beinahe unerträglich. Vorzeitige Plazentaablösung . Ich hatte einen neuen Namen auf der wachsenden Liste meiner Feinde. Meine anderen Feinde durfte ich jedoch nicht vergessen. Sie waren noch immer irgendwo da draußen. Sie suchten noch immer nach uns. Wie sollte ich deinen Stress lindern und dich daran hindern, irgendetwas Anstrengendes zu tun? Wie sollte ich das Unmögliche schaffen?
SECHZEHNTES KAPITEL
Wir hätten Charleston sofort verlassen sollen, nachdem wir aus dem Krankenhaus gekommen waren. Wir hätten zurück ins Motel fahren, unsere Sachen packen und die Stadt für immer verlassen sollen. Das wäre das Schlaueste gewesen. Du hattest ihnen deinen richtigen Namen genannt. Ich hätte sofort dafür sorgen sollen, dass wir die Flucht ergreifen, aber ich hatte Angst. Ich hatte Angst davor, was passieren könnte, wenn ich dich abermals aufscheuchte. Furcht war schon so lange meine Verbündete, dass ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte, sobald sie zu unserer Feindin wurde. Furcht bedeutete Stress. Niemand wusste das besser als ich. Ich verlor mein inneres Gleichgewicht. Ich hatte Angst davor, was Furcht unserem Sohn antun könnte. Ich wollte nur, dass du dich entspannen kannst. Ich wollte, dass alles ruhig ist. Ich wollte, dass unser Sohn in Sicherheit ist. Also versuchte ich, mich zu verhalten, als wäre alles in Ordnung. Aber es war nicht alles in Ordnung. Du hattest im Krankenhaus deinen echten Namen genannt. Tief in mir wusste ich, dass es jetzt nur noch eine Frage der Zeit war.
Es ist erst fünf Tage her, dass wir das
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