Der Hinterhalt
Krankenhaus verlassen haben. Seitdem hat sich schon so viel verändert. Wir hielten fast vier Monate in Charleston durch, bis wir die Flucht ergreifen mussten. Vielleicht werden wir diesmal noch länger durchhalten. Ich gebe mir deinetwegen Mühe, positiv zu denken. Ich schreibe weiterhin in dieses Tagebuch, weil ich ihm Dinge anvertrauen kann, die ich dir nicht zu sagen wage. Ich kann ihm anvertrauen, welch große Angst ich habe. Eines Tages werde ich dir dieses Tagebuch geben, aber ich möchte damit warten, bis unser Sohn auf die Welt gekommen ist. Ich möchte zuerst wissen, dass er in Sicherheit ist. Bis dahin möchte ich nichts anderes tun, als euch beide zu beschützen. Es gibt ein paar Dinge, die du über Charleston wissen solltest, über unsere Abreise aus Charleston. Ich habe dir einige Details verheimlicht, weil ich sie nicht verstand. Ich verstehe sie noch immer nicht.
Nachdem wir das Krankenhaus wieder verlassen hatten, wusste ich, dass irgendetwas passieren würde. Ich wusste nur nicht, was, und ich wusste nicht, wann, deshalb wartete ich wie ein Idiot. Es hätte noch schlimmer kommen können. Wenn wir den Anruf nicht bekommen hätten, wären wir womöglich nicht einmal mehr rechtzeitig aus unserem Motelzimmer herausgekommen.
Ich wachte in jener Nacht noch vor dem Läuten des Telefons auf. Warum, kann ich nicht erklären. Irgendetwas stimmte nicht. Das spürte ich. Ich mochte meine Instinkte ignoriert haben, aber sie waren noch nicht tot. Mein Körper war schweißüberströmt. Mein Herz raste. Meine Lunge rang nach Luft. Ich spürte, wie du dich neben mir unter der Bettdecke bewegtest. Inzwischen bewegtest du dich viel im Schlaf, da du versuchtest, trotz deines stetig wachsenden Bauchs eine bequeme Position zu finden. Ich atmete ein paar Mal tief durch. Du wachtest nicht auf. Noch nicht. Ich warf einen Blick zum Fenster und versuchte mich zu erinnern, was mich geweckt hatte. Die Vorhänge waren zugezogen. Zwei hässliche gelbe Gardinen verdeckten das Fenster, das zum Parkplatz des Motels führte. Ich begann mir einzureden, dass dort draußen jemand war. Dass unmittelbar vor unserem Fenster jemand wartete, dass ich etwas gehört und mich dieses Geräusch geweckt hatte. Ich zog in Erwägung, zum Fenster zu gehen und einen Blick nach draußen zu werfen, wollte dich aber nicht aufwecken. Ich konnte es mir nicht erlauben, dich zu erschrecken, es sei denn, ich war mir ganz sicher, dass wir uns in Gefahr befanden. Außerdem wäre es ohnehin zu spät, wenn draußen jemand wartete.
Also blieb ich einfach liegen, gelähmt von einer irrationalen Angst, die sich noch als allzu rational entpuppen sollte. Ich hatte das Gefühl, als würde mich ein großes Gewicht aufs Bett drücken. Ich lag da und wartete darauf, dass irgendetwas passierte. Es war halb drei Uhr morgens. Im Zimmer war es dunkel. Nur durch den Spalt unter den Vorhängen kroch etwas Licht herein. Ich ließ den Blick über die Wände und die Decke schweifen und beobachtete, wie eine Kakerlake von einer Ecke in die andere lief. Ich fand keinen konkreten Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmte. Trotzdem liefen meine Instinkte Amok.
Dann hörte ich ein klickendes Geräusch aus dem Telefon, bevor es anfing zu läuten. Es war kaum wahrnehmbar, doch ich hörte es. Dann klingelte es. Ich hechtete übers Bett, griff nach dem Hörer und hob noch vor dem zweiten Läuten ab. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete. Alles, was ich wollte, waren Antworten. Ich hielt den Hörer ans Ohr und setzte mich im Bett auf. Du rührtest dich kaum.
»Hallo?«, flüsterte ich.
Die Stimme am anderen Ende der Leitung war gedämpft, aber voller Dringlichkeit. »Du musst weg.« Irgendetwas an der Stimme kam mir bekannt vor, irgendetwas an ihr glaubte ich wiederzuerkennen. Ich hatte diese Stimme schon einmal am Telefon gehört.
»Wer ist da?«, fragte ich.
»Joe«, erwiderte der Anrufer, »du musst weg.« Der Groschen fiel, als er meinen Namen sagte.
»Brian?«
»Sag nicht meinen Namen, Joe. Denk nicht darüber nach, wer ich bin und warum ich anrufe. Hau einfach ab. Und zwar sofort.« Ich hörte die Angst in seiner Stimme. Sie war echt.
»Was ist los?«, fragte ich verwirrt. Ich war mir sicher, dass es Brian war, ich verstand nur nicht, warum er mich anrief. Ich war abgekapselt worden.
»Sie wissen Bescheid«, erwiderte Brian. »Sie wissen, wo du bist, Joe. Du hast keine Zeit mehr. Du musst weg.« Seine Stimme bebte. Mir wurde endlich bewusst, dass er mir helfen
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