Der Hinterhalt
dunkel, um entziffern zu können, auf wessen Grab ich saß. Dann spähte ich über den Grabstein auf die Straße. Der Mann mit dem Messer suchte noch immer nach mir, es hatte allerdings den Anschein, als sei er drauf und dran aufzugeben. Als er schließlich kehrtmachte, befürchtete ich, dass er sich auf die Suche nach dir machen würde. Ich fragte mich, wie es dir wohl erging, wie weit du bereits gekommen warst, wie es unserem Sohn ging. Mir war bewusst, dass er noch schlechtere Chancen hatte als wir, diese Nacht zu überleben, und dass es dazu eines Wunders bedürfen würde. Vielleicht würde er es schaffen, wenn du langsam gingst und ruhig bliebst. Vielleicht würde nicht alles, was wir auf uns genommen hatten, umsonst gewesen sein, wenn ich sie ein paar Stunden in Schach halten konnte. Ich hoffte einfach auf ein Wunder.
Dann hörte ich, wie sich dem Mann mit dem Messer auf der Straße Schritte näherten. Ich beobachtete ihn. Er hörte die Schritte ebenfalls und blickte in die Richtung, aus der sie kamen. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Seine Augen weiteten sich. Er geriet plötzlich in Panik. Dann drehte er sich um und rannte los. Er rannte schnell, noch schneller, als er mir hinterhergerannt war. Wenn er so schnell gelaufen wäre, als er mich verfolgt hatte, hätte er mich vermutlich eingeholt. Nur einen Augenblick später sah ich einen anderen Mann vorbeilaufen. Er hatte eine Pistole in der Hand, und es sah so aus, als würde er den ersten Mann verfolgen, doch das ergab keinen Sinn. Nichts ergab einen Sinn. Ich beobachtete, wie der zweite Mann vorbeilief, und versuchte zu begreifen, was vor sich ging. Meine Gedanken wurden von einem Geräusch unterbrochen, einem neuen Geräusch, dem Geräusch klappernden Metalls hinter mir. Ich warf einen Blick über den Friedhof, vorbei an den hundert Jahre alten Grabsteinen. Jemand kletterte über den Zaun auf der anderen Seite des Friedhofs. Der Grabstein hatte mir hervorragende Deckung in eine Richtung geboten, doch aus der anderen Richtung war ich deutlich zu sehen. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, den Bereich hinter mir zu kontrollieren. Sie hatten mich entdeckt. Sie waren dabei, über den Zaun zu klettern, um mich zu holen.
Ich sah den Zaun wackeln, als sich ein Mann an den Zacken hochzog. Ein zweiter half ihm dabei, indem er ihn an den Füßen nach oben schob. Derjenige, der über den Zaun kletterte, hatte eine Pistole in der Hand. Ob der andere ebenfalls bewaffnet war, konnte ich nicht erkennen. Ich war mir allerdings sicher, dass auch er eine Waffe bei sich trug, auch wenn er sie nicht griffbereit hatte. Ich hätte versuchen können, wieder über den Zaun auf meiner Seite des Friedhofs zu klettern, doch ohne Anlauf wäre das eine mühsame und umständliche Angelegenheit geworden. Dafür blieb mir keine Zeit. Der Mann mit der Pistole hätte mich mit einem Schuss ebenso leicht vom Zaun holen können, als würde er eine Dose von einem Pfosten schießen. Ich brauchte Anlauf. Also lief ich. Ich lief geradewegs auf den Zaun zu, über den die beiden Männer kletterten. Der Mann, der noch auf dem Boden stand, sah mich an. Sein Gesichtsausdruck verriet seine Verwirrung. Genau darauf zählte ich: auf das Überraschungsmoment. Ich lief über die Gräber und wich dabei ein oder zwei Grabsteinen aus. Der Friedhof war nicht besonders groß, sodass ich binnen Sekunden bei dem Zaun angelangte, über den die Männer kletterten. Der Mann mit der Pistole war bereits oben auf dem Zaun angekommen, als er bemerkte, dass ich auf ihn zulief. Er stand auf dem Zaun und wollte gerade auf den Boden springen. Ich machte einen Satz nach vorn und rammte wie zuvor, als ich über den anderen Zaun geklettert war, einen Fuß zwischen zwei Stangen. Dieses Mal griff ich allerdings nicht nach einer der Zacken. Stattdessen packte ich den Mann mit der Pistole. Ich streckte den Arm aus, packte ihn am Knie und zog mich daran hoch. Er verlor das Gleichgewicht und schlug mit dem Bein aus. Als er fiel, landete er mit der Rückseite seines Oberschenkels auf einer der Zacken. Ich hörte, wie die Zacke seine Haut durchbohrte und dann das Splittern eines Knochens. Im nächsten Moment befand ich mich auf der anderen Seite des Zauns. Dieses Mal landete ich auf den Füßen. Ich warf keinen Blick mehr auf den Mann, den ich soeben auf dem Zaun gepfählt hatte. Seinen Begleiter würdigte ich ebenfalls keines Blickes. Ich wandte mich einfach nach rechts und rannte, so schnell ich konnte.
Jetzt wusste ich,
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