Der Hinterhalt
dass sie mindestens zu fünft gewesen sein mussten. Ich hatte fünf gesehen. Zwei davon waren inzwischen außer Gefecht. Der Mann am Straßenrand war so gut wie tot, und der Mann auf dem Zaun würde in dieser Nacht, selbst wenn er überlebte, niemanden mehr verfolgen. Ich gab mir alle Mühe, Maria. Ich hätte dir gerne zugerufen, dass du weitergehen sollst. Doch ich hoffte, dass du mich nicht gehört hättest, weil du zu weit weg warst.
Ich versuchte mir auszurechnen, wie viel Zeit bereits vergangen war. Zwanzig Minuten? Eine halbe Stunde? Mehr? Ich wusste nicht, wie lange ich mich auf dem Friedhof aufgehalten hatte. Ich blickte zum Himmel. Noch war er pechschwarz. Auf der Suche nach einem Versteck, in dem ich eine Verschnaufpause einlegen konnte, bog ich um eine weitere Ecke. Ich entdeckte eine dunkle Nische zwischen zwei Häusern, in die ich mich presste. Sie bot keine vollständige Deckung, musste aber vorerst genügen. Ich versuchte, meine Atmung zu verlangsamen. Dann sah ich am anderen Ende der Straße einen weiteren Mann. Er trug schwarze Jeans und ein schwarzes Sweatshirt, dessen Kapuze er aufgesetzt hatte. In der Hand hielt er eine Pistole. Ich versuchte mich zu erinnern, ob es sich bei ihm um einen der Männer handelte, die ich bereits gesehen hatte, und kam zu dem Ergebnis, dass er keiner von ihnen war. Das bedeutete, dass sie mindestens zu sechst gewesen sein mussten und dass noch mindestens vier übrig waren. Sechs. Warum hätten sie sechs Männer auf mich ansetzen sollen? Das ergab einfach keinen Sinn.
Ich verhielt mich ruhig, beobachtete den Mann, als er vorbeiging, und hoffte, dass er mich nicht bemerken würde. Solange er nicht in die Straße einbog und auf mich zukam, war ich vermutlich in Sicherheit. Er ging weiter und verschwand um die Ecke. Ich hatte sechs Leute gesehen. Mehr konnten es nicht sein, sagte ich mir. Wenn ich recht hatte, waren alle körperlich Leistungsfähigen von ihnen in meiner Nähe. Wenn ich recht hatte, warst du vielleicht in Sicherheit.
Ich lauschte. Die Nacht war wieder still. Ich trat aus der dunklen Nische und ging langsam die Straße hinunter. Dabei gab ich mir Mühe, möglichst leise zu gehen, da ich hoffte, auf diese Weise meine Verfolger zu hören, bevor sie mich hörten. Inzwischen war ich mit meiner Weisheit am Ende. Ich konnte nicht die ganze Nacht laufen. Dafür fehlte mir die Kondition. Ich überlegte, ob ich den Spieß umdrehen sollte, ob ich sie jagen sollte. Lange brauchte ich allerdings nicht zu überlegen. Es war nicht so einfach, in die Rolle des Jägers zu schlüpfen, wenn man der Gejagte war.
Ich hatte Glück, dass ich ihn sah, Sekunden bevor er mich sah. Er bog in die Straße ein, auf der ich ging, und steuerte auf mich zu. Mir blieb gerade noch genug Zeit, um in einem dunklen Hauseingang in Deckung zu gehen, ehe er in meine Richtung blickte. Er kam auf mich zu. Wenn er noch näher kam, war ich ein toter Mann. Die Straße bot keine Versteckmöglichkeiten. Ich zog in Erwägung, Reißaus zu nehmen, doch dann wäre ich den anderen womöglich direkt in die Arme gelaufen. Ich saß in der Falle.
Ich griff in dem Eingang, in dem ich stand, hinter mich, ertastete den Türknopf und versuchte, ihn zu drehen. Zu meinem Glück war die Tür nicht abgesperrt. Ich öffnete sie einen Spalt und schlüpfte hindurch. Im Haus war es dunkel und still. Trotz der Dunkelheit konnte ich von dort, wo ich stand, die Küche und das Wohnzimmer sehen. Auf dem Wohnzimmerboden war Spielzeug verstreut. Ich trat einen Schritt vor und ging auf der Suche nach einem Versteck weiter in das Haus. Im Wohnzimmer gab es einen Wandschrank. Ich öffnete die Tür und stieg hinein. Anstatt die Tür hinter mir zu schließen, ließ ich sie einen Spalt offen stehen, damit ich hinaussehen konnte. Mein Herz hämmerte in meiner Brust. Warten war fast noch anstrengender als laufen. Durch den Spalt konnte ich die Haustür sehen. Sie ging langsam auf. Draußen war es genauso dunkel wie im Haus. Mein Verfolger trat leise ein. Die Pistole in seiner rechten Hand hielt er auf Höhe seines Ohrs, um bei Bedarf schnell mit ihr zielen zu können. Er ließ den Blick durch den Raum schweifen. Ich sah mich nach einem Gegenstand um, den ich als Waffe benutzen konnte, wie etwa einen Baseballschläger oder eine Bratpfanne. Fehlanzeige. Dann entdeckte ich nur einen halben Meter von der Schranktür entfernt einen Lichtschalter. Er war meine einzige Chance.
Der Mann machte noch ein paar Schritte ins Haus. Er bemühte
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