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Der Hinterhalt

Der Hinterhalt

Titel: Der Hinterhalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevor Shane
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beobachtete, wenn er es versuchte. Ich saß mit meinem Getränk in der Hand da und sah zu, wie sich meine Freunde abwechselnd hinter der Linie aufstellten und den Ring schwingen ließen. Es war unglaublich frustrierend, und dabei spielte ich nicht einmal selbst. Wenn man mit dem Ring direkt auf den Haken zielte, prallte er ab und kam wieder zurück. Stattdessen musste man ihn leicht zur Seite schwingen lassen, damit er den Haken auf dem Weg nach oben passierte und sich an diesem verfing, wenn er wieder zu einem zurückschwang.
    Frust war bei meinen Freunden noch nie eine leise Emotion gewesen. Jareds und Michaels Wettkampf begann recht leise, doch es dauerte nicht lange, bis die beiden lauter waren als die Musik, die aus den Lautsprechern der Bar tönte. Ich sah abwechselnd den beiden und den Luftbläschen zu, die in meinem Bier aufstiegen, und war vollkommen zufrieden damit, einfach nur dazusitzen und meinen Weg zu betäubender Trunkenheit fortzusetzen. Dabei vernachlässigte ich meine Deckung. Als ich beim dritten oder vierten Bier war, setzte sich eine Frau neben mich an die Theke. Es hatte den Anschein, als wäre sie allein. Sie warf einen Blick hinüber zu Michael und Jared. Die beiden waren kaum zu ignorieren. Sie waren schon immer schwer zu ignorieren gewesen. Sie sah sie an, lachte und drehte sich dann zu mir. »Freunde von dir?«, fragte sie.
    Es dauerte einen Moment, bis mir bewusst wurde, dass sie mit mir sprach. Als ich es schließlich begriff, versuchte ich, den Unbeteiligten zu spielen. »Wie kommst du denn darauf?«, fragte ich sie. Die Frau trug ein dünnes ärmelloses Oberteil und einen langen Rock mit Hawaii-Muster. Sie war asiatischer Abstammung und vermutlich Ende zwanzig. Außerdem wirkte sie durchtrainiert und nicht wie ein typisches Jersey-Mädchen. Sie schien in keiner Hinsicht typisch zu sein.
    »Keine Sorge, ich finde die beiden süß«, sagte sie zu mir und betrachtete meine Freunde, die sich gegenseitig beschimpften. »Sie werden sich doch hoffentlich nicht umbringen, oder?« Ich sah zu Jared und Michael hinüber. Ihr Verhalten war für mich nichts Neues. Vermutlich war die beste Strategie die, sie einfach zu ignorieren. Diese Strategie hatte ich in den vergangenen zehn Jahren schon viele Male angewendet.
    »Bist du allein hier?«, fragte ich. Aus mir sprach der Alkohol, der mir den Mut einflößte, den ich normalerweise nicht besaß.
    »Vielleicht«, erwiderte sie. Sie hatte einen seltsamen Akzent. »Was würdest du über eine Frau denken, die allein in eine Bar geht?«
    »Wenn sie aussehen würde wie du?«, entgegnete ich. »Ich würde denken, dass sie mysteriös ist. Ein bisschen bedauernswert, aber auf jeden Fall mysteriös.«
    »Na toll. Mysteriös und bedauernswert.« Sie lachte.
    »Tja«, erwiderte ich, »man kann’s nicht jedem recht machen.«
    Wir saßen eine Weile schweigend da und beobachteten Jared und Michael dabei, wie sie sich stritten. »Und« – die Frau brach schließlich das Schweigen – »kommst du öfter hierher?«
    Ich stellte mein Bier wieder auf der Theke ab. »Versuchst du, mich abzuschleppen?«
    »Noch nicht«, sagte sie lächelnd. Sie hielt inne und biss sich seitlich auf die Unterlippe. »Wahrscheinlich sollte ich dich erst mal kennenlernen.«
    »Wirst du dann versuchen, mich abzuschleppen?«
    »Vielleicht, wenn mir gefällt, was ich höre.« Sie legte mir die Hand auf den Ellbogen, als sie sich auf den Barhocker neben mir setzte. Ihre Haut war rauer, als ich erwartet hätte, aber warm, und meine Haut glühte unter ihrer Berührung. »Wie heißt du denn?«
    »Joseph«, erwiderte ich und streckte ihr die Hand hin, um die ihre zu schütteln. Es war das erste Mal seit Ewigkeiten, vielleicht sogar seit der Highschool, dass ich einer Frau meinen echten Namen verraten hatte. Es fühlte sich gut an.
    »Catherine«, sagte sie unaufgefordert und gab mir die Hand.
    »Woher kommst du, Catherine?«, fragte ich. »Du hast einen eigenartigen Akzent.«
    »Ja, ja, mein Akzent. Ich kann nirgendwo auf der Welt hingehen, wo die Leute nicht denken, ich hätte einen Akzent.« Sie sah mich an, musterte mein Gesicht, suchte darin nach irgendetwas. Damals hielt ich das für ein gutes Zeichen. »Ich bin in Vietnam aufgewachsen, habe aber in London studiert.«
    »An der Küste von Jersey begegnet man nicht allzu vielen Leuten mit einem solchen Stammbaum«, sagte ich. Sie lachte. Ihr Lachen gefiel mir.
    »Was ist mit dir? Woher kommst du?«, fragte sie.
    »Von hier«, erwiderte ich.

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