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Der Hinterhalt

Der Hinterhalt

Titel: Der Hinterhalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevor Shane
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»Kann’s losgehen?«
    »Ich muss erst noch meine Tasche holen.«
    »Ich hätte nicht gedacht, dass ihr Jungs Taschen aufgebt. Ich dachte immer, ihr reist mit möglichst wenig Gepäck.« Er drehte sich im Sprechen um und ging in Richtung Gepäckausgabe.
    »Normalerweise tue ich das auch, Dan. Aber ich wollte heute nicht alles in den Flieger schleppen.«
    Dan lächelte und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, mein Junge. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Ich kann’s auch nicht leiden, um Platz in den Gepäckfächern kämpfen zu müssen.« Wir kamen zur Gepäckausgabe und stellten uns hinter den Frauen und Kindern an.
    »Warten Sie schon lange, Dan?«, erkundigte ich mich, als wir dastanden und auf den Signalton warteten, der die Ankunft des Gepäcks aus meiner Maschine ankündigte.
    »Nur ungefähr eine Stunde«, entgegnete er.
    »Eine Stunde? Hatte mein Flug Verspätung?«, fragte ich. Ich wusste, dass er das nicht gehabt hatte.
    »Nein, er war absolut pünktlich. Aber ich wollte einen berufstätigen Jungen wie Sie nicht warten lassen. Außerdem komme ich gern hierher, um das Treiben zu beobachten und die Leute kommen und gehen zu sehen.« Ich glaube, ich hatte noch nie einen Mann wie Dan kennengelernt. Ich sah ihn an. Er stand da, ohne auch nur ein Mal den Blick vom Gepäckband zu nehmen, obwohl noch kein Gepäck darauf lag und es sich nicht bewegte.
    »Tja, wie gesagt, ich weiß das zu schätzen.«
    Nachdem wir meine Tasche in Empfang genommen hatten, gingen wir zu Dans Auto auf dem Parkplatz. Dan fuhr genau den Wagen, in dem ich ihn mir vorgestellt hatte, eine große weiße Limousine, und aus irgendeinem Grund machte mich das glücklich. Während Dan mich in die Stadt chauffierte, überschüttete ich ihn mit Fragen und versuchte, ihn zu entschlüsseln. Er befand sich im Ruhestand und war nach einem kurzen Gastspiel bei der Marine tatsächlich für einen Großteil seines Lebens als Vertreter tätig gewesen. Er hatte Whiskey- und Cocktailservietten an Bars in New York, New Jersey und Pennsylvania verkauft und war erfreut zu hören, dass ich ebenfalls aus New Jersey stammte. Er sagte mir, dass beinahe die Hälfte aller Menschen in diesem Teil von Florida ursprünglich aus New York oder New Jersey käme. In jüngeren Jahren war er ebenfalls »berufstätig« gewesen – dieses Wort benutzte er, um meinen Job zu beschreiben. Zu seiner Zeit, erklärte er mir, hätten die Soldaten nebenbei noch normale Berufe gehabt. Als Vertreter herumzureisen sei eine gute Tarnung gewesen. Er machte seine Touren, verkaufte seine Waren, und ein oder zwei Mal im Jahr rief die Pflicht, wie er es nannte. Ich fragte ihn, wie viele Leute er während seiner Zeit als »Berufstätiger« getötet habe. Er sagte, dass er den Überblick verloren habe, dass Zahlen ohnehin keine Rolle spielen würden und dass er auf die Anzahl nicht stolz wäre, auch wenn er sie kennen würde. Er sei nur darauf stolz, dass er zu seiner Zeit in der Lage gewesen sei, seinen Teil beizutragen. Jetzt sei er stolz darauf, mir helfen zu können, stolz, die Sache immer noch unterstützen zu können. Seltsamerweise sorgte er dafür, dass ich ebenfalls stolz war. Ich hatte beinahe vergessen, wie sich das anfühlte.
    Ich erkundigte mich nach seiner Familie. Er sagte mir, er habe keine Angehörigen mehr. Seine Eltern hätten beide bis zum Schluss überlebt und seien mit deutlich über achtzig eines natürlichen Todes gestorben. Er habe jedoch auch eine Frau und eine Tochter gehabt, die beide getötet worden seien. Seine Frau sei Zivilistin gewesen, bevor er sie heiratete, doch das habe die anderen nicht abgehalten. Sie wurde acht Jahre nach ihrer Hochzeit ermordet, als ihre gemeinsame Tochter erst drei Jahre alt war. Es sei eine schmutzige Sache gewesen, sagte er. Sie wurde zu Hause getötet, während er unterwegs war, um einige Besorgungen zu machen. Er war sich ziemlich sicher, dass sie nach ihm gesucht hatten. Als er an jenem Tag nach Hause kam, war alles voller Blut. Blut in mehreren Zimmern. Sie musste sich heftig gewehrt haben, sagte er. Er fand ihre Leiche auf dem Esszimmertisch. Sie hatten zugesehen, wie sie gestorben war, und sie dann auf den Tisch gelegt, bevor sie gegangen waren. Seine Tochter war die ganze Zeit über zu Hause gewesen. Als er nach Hause kam, war sie im Schlafzimmerschrank versteckt. Er war sich nicht sicher, ob sie sich darin verkrochen hatte oder ob sie dort eingesperrt worden war. Sie sagte es ihm nie. Sie sprach

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