Der Hinterhalt
alles durchzulesen«, sagte Dan, als er mir den Umschlag reichte.
»Das wäre vermutlich das Beste«, erwiderte ich und wog das Päckchen in der Hand. Es war leicht – in der Regel ein Hinweis darauf, dass der Job als ziemlich einfach erachtet wurde.
»Mein Arbeitszimmer ist gleich da hinten.« Dan deutete in die Richtung, aus der er mit dem Umschlag gekommen war. »Ich werde Sie nicht stören, während Sie arbeiten. Lassen Sie mich einfach wissen, wenn Sie irgendwas brauchen.«
»Danke, Dan.« Ich nahm das Päckchen und ging durch den Flur in Richtung Arbeitszimmer.
»Hätten Sie Lust, heute Abend essen zu gehen?«, erkundigte sich Dan, der offenbar begierig nach Gesellschaft war.
»Ich bin für alles zu haben, Dan«, antwortete ich. Ich war ebenfalls begierig nach Gesellschaft. Dann betrat ich Dans Arbeitszimmer und machte die Tür hinter mir zu.
Bei Dans Arbeitszimmer handelte es sich um einen kleinen Raum, dessen Einrichtung aus einem Sofa und einem Schreibtisch bestand. Über dem Schreibtisch waren Regalbretter an der Wand montiert, auf denen einige Bücher und ein paar Fotos standen. Ich betrachtete die Fotos eine Weile. Es war offensichtlich, dass es sich bei allen Bildern um Familienfotos handelte, die zum Teil bereits ein wenig vergilbt waren. Eines davon war eine Schwarzweißaufnahme. Sämtliche Fotos waren mindestens dreißig Jahre alt. Es schien, als habe Dans Leben zu diesem Zeitpunkt geendet. Ein Foto zeigte ihn mit seinem Vater. Dan muss darauf etwa acht Jahre alt gewesen sein, war aber eindeutig zu erkennen. Er hielt einen Fisch in die Kamera, den er gerade gefangen hatte. Sein Vater hockte hinter ihm und hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Ein anderes Foto zeigte Dan mit seiner Frau bei ihrer Hochzeit, beide wie aus dem Ei gepellt. Dans Frau war bildhübsch. Sie erinnerte mich ein bisschen an dich, wenngleich sie größer war. Ich stellte mir für einen Augenblick vor, wie du in einem Brautkleid aussehen würdest. Auf der Schwarzweißaufnahme waren zwei Menschen zu sehen, bei denen es sich um Dans Eltern gehandelt haben muss. Sie waren jung, lächelten und standen vor einem kleinen Kasten mit Dach, der vermutlich ihr erstes Haus gewesen war. Das nächste Foto ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Es zeigte Dan und seine Frau. Die beiden standen nebeneinander, und Dan hatte ihr den Arm um die Schultern gelegt. Sie hielt die kleine gemeinsame Tochter auf dem Arm. Dan und seine Frau blickten direkt in die Kamera, doch das kleine Mädchen, das höchstens ein halbes Jahr alt war, sah lächelnd zu seinem Vater auf. Zu guter Letzt stand dort noch das neueste Foto, das vermutlich ebenfalls mindestens dreißig Jahre alt, aber am wenigsten verblichen war. Es zeigte Dans Tochter als Teenager. Sie trug ein weißes, bauschiges Highschool-Abschlussballkleid und stand neben einem pickelgesichtigen Jungen im Smoking. Auf diesem Foto lächelte Dans Tochter. Es muss sich um einen ihrer wenigen glücklichen Tage gehandelt haben. Als ich das Foto betrachtete, hallte Dans Stimme in meinem Kopf wider und erinnerte mich: »Zu viel Hass macht einen kaputt.« Aber nicht genug davon, und die Welt versinkt im Chaos , sagte ich flüsternd zu mir selbst. Ich setzte mich an den Schreibtisch, öffnete den Umschlag und begann, mich über den nächsten Mann zu informieren, dessen Leben ich beenden sollte.
Meine Zielperson hieß Jimon Matsuda, war aber nur unter dem Namen »Jim« bekannt. Er war als Sohn japanischer Eltern auf Hawaii zur Welt gekommen und hatte im Koreakrieg und in Vietnam für die Vereinigten Staaten gekämpft. Als Logistik-Experte hatte er im Lauf seiner Karriere zahlreiche tödliche strategische Operationen für die US-Armee geplant. Unabhängig davon hatte er außerdem zahlreiche tödliche strategische Operationen gegen uns geplant. Aus dem Dienst bei der Armee war er als Generalmajor geschieden. Nach Einschätzung unseres Geheimdiensts hatte er ungefähr zur selben Zeit auch aufgehört, aktiv Operationen gegen uns zu planen. Er war jedoch bis zum heutigen Tag als Ausbilder der Logistik-Experten unserer Feinde tätig. Genau genommen waren die meisten ihrer Topleute von Mr Matsuda höchstpersönlich ausgebildet worden. Es ließ sich nicht genau beurteilen, wie viel Schaden er im Lauf seines Lebens angerichtet hatte, sowohl eigenhändig als auch durch seine Schüler, doch die Eliminierung von Mr Matsuda würde unsere Feinde offenbar gewaltig treffen. Meinen Unterlagen zufolge handelte es sich bei
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