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Der Hinterhalt

Der Hinterhalt

Titel: Der Hinterhalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevor Shane
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aus den Anfangstagen meiner Ausbildung.
    Ich verbrachte den Rest des Tages damit, Mr Matsuda zu beschatten. Dan lieh mir seinen Wagen. Ich hielt gerade genug Abstand, um nicht noch einmal von Mr Matsuda gesehen zu werden, da ich befürchtete, er könnte mich oder Dans Auto erkennen. Meine Angst schien jedoch unbegründet zu sein. Mr Matsuda spulte einfach sein Programm ab. Der Tag verlief ohne besondere Vorkommnisse. Ohne Gefahren. Ohne Eile. Ohne Angst. Mr Matsudas Leben schien völlig normal zu sein – erschreckend normal. Wir fuhren zum Supermarkt. Wir hielten bei einer Apotheke. Wir hielten an einer Tankstelle, und er stieg aus, um seine Windschutzscheibe zu säubern. Wir machten bei einem Imbiss zum Mittagessen Halt. Jim aß ein Thunfisch-Käse-Sandwich. Ich aß einen Cheeseburger. Wir fuhren wieder zurück nach Crystal Ponds, wo Jim ein paar Freunde besuchte. Wir hielten bei der Bank. Es gab dort einen Außen-Geldautomaten, den Jim jedoch nicht benutzte. Stattdessen ging er hinein, flirtete mit den Kassiererinnen, reichte ein paar Schecks ein und hob Geld ab. Dann machten wir uns auf den Weg nach Hause. Ich hätte ihn problemlos zu jedem Zeitpunkt an diesem Tag töten können. Gegen sechs Uhr abends beschloss ich, dass ich genug gesehen hatte. Ich erfuhr nichts Neues. Es gab nichts zu erfahren. Deshalb fuhr ich zurück zu Dan. Dort wurde die Sache kompliziert.
    Als ich bei Dan zu Hause ankam, saß er auf einem der Eingangstür zugewandten Stuhl im Flur. Sein Gesicht war leer, ausdruckslos. Der Stuhl, auf dem er saß, war fehl am Platz. Er hatte ihn dort hingestellt und zur Tür gedreht, damit er sich hinsetzen konnte, während er wartete, bis ich hereinkam. Weiß Gott, wie lange er bereits gewartet hatte. Auf dem Schoß hatte Dan den braunen Umschlag, der die Details zu meinem Auftrag enthielt. Er musste ihn in der Schreibtischschublade gefunden und an sich genommen haben. Ich trat in die Stille. Eine Zeit lang sagte keiner von uns ein Wort. Dan saß einfach nur da und starrte mich an, als würde er ein Tier im Zoo anstarren. Schließlich brach ich das Schweigen. »Sie wissen, dass Sie sich das nicht hätten ansehen sollen, Dan«, sagte ich und tadelte den alten Mann, als wäre er ein unartiges Kind. Es fühlte sich nicht richtig an, doch das war es, was ich tat. »Das ist gefährlich.«
    »Ich weiß«, erwiderte er mit einem Frosch im Hals, der seine Stimme belegt und schwach klingen ließ. Er hielt mir den Umschlag hin. »Nehmen Sie ihn. Ich habe genug gesehen.« Ich nahm ihm den Umschlag ab und klemmte ihn mir unter den Arm.
    »Was haben Sie denn gesehen?«, fragte ich. Der Mann auf dem Stuhl vor mir war die in sich zusammengesunkene Version des Mannes, der mich einen Tag zuvor vom Flughafen abgeholt hatte. Dan wirkte kleiner.
    »Ich wollte keine Probleme verursachen.« Dans Stimme war leise, als spräche er nicht mit mir, sondern mit der Luft. Die Sonne ging unter, und durch die Fenster sickerten die satten Farben der Abenddämmerung. »Die Tage hier verschwimmen miteinander … Ich wollte wieder am Geschehen teilnehmen. Ich wollte daran erinnert werden, wie sich das anfühlt.«
    »Was haben Sie gesehen, Dan?«, fragte ich erneut. Ich warf einen Blick auf den geöffneten Umschlag und versuchte zu erkennen, ob die Seiten noch in derselben Reihenfolge geordnet waren. »Was sollte das?«
    »Sie haben meine Tochter umgebracht, Joe. Sie haben meine Frau und meine Tochter umgebracht.« Er blickte zu mir auf. Seine Augen waren verschwollen, aber trocken. Dan hatte alle seine Tränen schon vor vielen Jahren vergossen. Er sah den Umschlag weiterhin aus den Augenwinkeln an. »Ich wollte wissen, wer es war. Ich wollte wissen, wer der wichtige Typ ist, für dessen Ermordung sie einen professionellen Killer hierherschicken. Ich wollte den Namen des Mannes sehen, den Sie umlegen sollen, und ich wollte, dass es sich gut anfühlt. Ich wollte, dass es sich wie Rache anfühlt.« Die letzten Sätze sprach er durch zusammengebissene Zähne.
    »Dann haben Sie also in den Umschlag geschaut?«, fragte ich, obwohl ich genau wusste, dass daran kein Zweifel bestand.
    Dan nickte. Er entspannte seine Kiefermuskeln. »Ich wollte mich bloß wieder gut fühlen.«
    »Und, wie fühlen Sie sich jetzt, nachdem Sie in den Umschlag geschaut haben?« Ich war wütend. Er hatte kein Recht dazu gehabt.
    »Ich wusste, dass ich meine Frau und meine Tochter damit nicht mehr lebendig machen kann, aber ich dachte, dass es vielleicht bei mir

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