Der Hintermann
und ging dann mit ihr in die Tunlaw Road zurück, um für den Rückflug nach England zu packen. Bei ihrer Rückkehr sahen sie vor dem Apartmentgebäude einen gepanzerten Cadillac Escalade stehen, aus dessem Auspuff kleine Dampfwolken aufstiegen. Gabriel bemerkte eine Hand, die ihn zu sich heranwinkte. Sie gehörte Adrian Carter.
»Gibt’s ein Problem?«, fragte Gabriel.
»Das hängt ganz davon ab, wie man die Sache sieht, denke ich.«
»Kommen Sie bitte zur Sache, Adrian! Wir müssen ein Flugzeug erreichen.«
»Tatsächlich habe ich mir erlaubt, Ihre Flüge stornieren zu lassen.«
»Wie aufmerksam von Ihnen.«
»Steigen Sie ein.«
T EIL III
Im Leeren Viertel
48
T HE P LAINS , V IRGINIA
Das Haus stand von Ulmen und Eichen umgeben auf der höchsten Erhebung der weitläufigen Farm. Es besaß ein Kupferdach mit Grünspanpatina und eine hübsche zweigeschossige Veranda mit Blick über grüne Weiden. Die Nachbarn glaubten, der Besitzer sei ein reicher Washingtoner Lobbyist namens Hewitt. Tatsächlich gab es keinen Lobbyisten namens Hewitt, zumindest keinen mit einer Verbindung zu der sechzehn Hektar großen Privatfarm, die zwei Meilen östlich von The Plains an der Country Road 601 lag. Den Namen hatten die Computer der Central Intelligence Agency, der die Farm über eine Tarnfirma gehörte, nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Der Agency gehörten auch der Traktor von John Deere, der Pick-up von Ford, der Kreiselheuer der Marke Bush Hog und die beiden braunen Pferde. Eines hieß Colby, das andere hieß Helms. Witzbolde in der Agency behaupteten, beide müssten sich wie alle CIA-Mitarbeiter jedes Jahr einem Lügendetektortest unterziehen, damit sichergestellt war, dass sie nicht die Seiten gewechselt hatten, wo immer diese Seiten liegen mochten.
Am folgenden Nachmittag grasten die Pferde friedlich auf der unteren Weide, als der Cadillac Escalade mit Gabriel und Chiara die lange Einfahrt heraufkam. Ein CIA-Sicherheitsmann ließ sie ins Haus ein, nahm ihnen die Mäntel und ihre Mobiltelefone ab und führte sie in den großen Salon im Parterre. Beim Eintreten sahen sie Uzi Navot, der sehnsüchtig das Büfett begutachtete, und Ari Schamron, der sich abmühte, einer Pumpkanne eine Tasse Kaffee abzuringen. An dem offenen Kamin, in dem heute kein Feuer brannte, saß Graham Seymour, der sich seiner Kleidung nach zu urteilen auf ein langes Wochenende auf einem englischen Landsitz eingestellt zu haben schien. Neben ihm saß Adrian Carter, der wegen etwas, das James A. McKenna ihm eindringlich ins Ohr flüsterte, die Stirn runzelte.
Die in diesem Raum versammelten Männer bildeten eine Art Geheimbund. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hatten sie bei zahlreichen Geheimunternehmen zusammengearbeitet, von denen die meisten nie öffentlich bekannt geworden waren. Sie hatten füreinander gekämpft, füreinander getötet, in einigen Fällen sogar füreinander geblutet. Trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten hatte ihre Bindung die Jahre und die unberechenbaren Launen ihrer politischen Dienstherrn überdauert. Ihre Aufgabe sahen sie ganz nüchtern – sie waren der »Schura-Rat« der zivilisierten Welt, um einen Ausdruck ihrer Feinde zu benutzen. Sie übernahmen die unangenehmen Aufträge, die sonst niemand ausführen wollte, und machten sich – vor allem, wenn Menschenleben auf dem Spiel standen – erst später Gedanken über die möglichen Konsequenzen. James McKenna war jedoch kein Mitglied des Rats und würde auch nie eines werden. Er war ein politisches Wesen, was per Definition bedeutete, dass er ein Teil des Problems war. Seine Anwesenheit versprach vor allem dann Komplikationen, wenn er darauf bestand, Adrian Carter ständig etwas ins Ohr zu flüstern.
McKenna fühlte sich anscheinend am wohlsten, wenn er an einem richtigen Tisch saß, deshalb zogen sie auf seinen Vorschlag hin ins Speisezimmer um. Wieso Carter ihn nicht mochte, war offenkundig: McKenna war alles, was Carter nicht war. Er war jung. Er war sportlich fit. Er sah auf jedem Podium gut aus. Und er wirkte, unabhängig davon, ob die Fakten dafür sprachen oder auch nicht, stets unerschütterlich selbstsicher. McKenna hatte kein Blut an den Händen kleben und keine Leichen im Keller liegen. Er hatte den Feind noch nie vor der Mündung seiner Waffe stehen gehabt oder ihm in einem Vernehmungsraum gegenübergesessen. Er beherrschte nicht einmal eine der vielen Sprachen des Feindes. Aber er hatte viele Analysen über ihn gelesen und
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