Der Hintermann
gehörten ein Teeempfang für das Unternehmerinnenforum Dubai, ein Besuch einer islamischen Mädchenschule und ein Rundgang durch das Lager für ausländische Arbeiter in Sonapur. Von den dortigen Lebensbedingungen zu Tränen gerührt, brach Nadia erstmals ihr öffentliches Schweigen und forderte Staat und Wirtschaft auf, Mindeststandards für die Bezahlung und Unterbringung von Gastarbeitern festzulegen. Außerdem spendete sie zwanzig Millionen Dollar für ein neues Lager Sonapur mit klimatisierten Schlafbaracken, fließendem Wasser und Freizeiteinrichtungen. Weder Dubai TV noch die Khaleej Times trauten sich, ihre Äußerungen wiederzugeben. Der Minister hatte sie gewarnt, das zu unterlassen.
Gegen achtzehn Uhr verließ Nadia das Lager und fuhr nach Dubai City zurück. Als ihre Wagenkolonne den Bezirk Jumeirah Beach erreichte, war es schon dunkel, und das Hotel Burj al Arab mit seiner – einer modernen Jacht nachempfundenen – Silhouette leuchtete magentarot. Der Generaldirektor und seine leitenden Angestellten standen zum Empfang bereit, als Nadia al-Bakari, deren Abaya -Saum vom Staub des Lagers Sonapur schmutzig war, hinten aus ihrer Limousine stieg. Von einem langen Reise- und Verhandlungstag, der im Morgengrauen in Paris begonnen hatte, sehr ermüdet, begrüßte sie die Wartenden nur flüchtig, bevor sie in ihre gewohnte Suite im 41. Stock hinauffuhr. Vor der Tür hielten bereits zwei Männer ihres Sicherheitsdiensts Wache. Rafiq al-Kamal inspizierte alle Räume der Suite flüchtig, bevor er Nadia eintreten ließ.
»Meine letzte Besprechung beginnt heute Abend um neun und dürfte bis ungefähr zehn Uhr dauern«, sagte sie, indem sie die Handtasche von Prada aufs Sofa warf. »Sagen Sie Mansur, dass er den Abflug für dreiundzwanzig Uhr planen soll. Und ich lasse Rahimah bitten, einmal im Leben pünktlich zu sein. Sonst kann sie mit Air France nach Paris zurückfliegen.«
»Vielleicht sollte ich sie auffordern, spätestens um halb zwölf am Flughafen zu sein.«
»Ein verlockender Gedanke«, sagte Nadia lächelnd, »aber ich glaube nicht, dass das ihrem Vater gefallen würde.«
Al-Kamal schien noch nicht gehen zu wollen.
»Irgendwas nicht in Ordnung?«
Er zögerte. »Heute im Lager …«
»Ja, Rafiq?«
»Niemand rührt jemals einen Finger für diese armen Teufel. Es war höchste Zeit, dass das mal angeprangert wurde. Ich bin froh, dass Sie’s getan haben.« Er machte eine Pause. »Und ich bin stolz darauf, an Ihrer Seite gewesen zu sein.«
Nadia lächelte. »Einundzwanzig Uhr«, sagte sie. »Kommen Sie nicht zu spät.«
»Zizis Regeln«, sagte er.
Sie nickte. »Zizis Regeln.«
Sobald sie allein war, streifte sie die Abaya ab, ging unter die Dusche und zog dann das Kostüm von Vauthier an. Sie bedeckte ihr Haar zum Teil mit einem farblich passenden Seidentuch und legte wieder die Armbanduhr von Harry Winston an. Dann begutachtete sie ihre Erscheinung im Garderobenspiegel. Halten Sie sich möglichst an die Wahrheit. Lügen Sie nur, wenn’s nicht anders geht. Die Wahrheit hatte sie hier im Spiegel vor sich. Die Lüge wartete nebenan. Nadia klemmte sich die Handtasche unter den Arm, öffnete die Verbindungstür hin zur benachbarten Suite und klopfte zweimal an. Augenblicklich öffnete sich die dortige Tür und sie erblickte eine Frau, die Sarah Bancroft sein konnte oder auch nicht. Diese legte den Zeigefinger auf die Lippen und zog Nadia wortlos in die andere Suite hinein.
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H OTEL B URJ AL A RAB , D UBAI
Die Suite war auf den Namen von Thomas Fowler gebucht worden. Das erklärte den üppigen Blumenschmuck auf Kosten des Hauses, die Silbertabletts mit arabischen Süßigkeiten und die ungeöffnete Flasche Dom Pérignon, die mit winzigen Wasserperlen benetzt in einem Eiskübel stand. Der Empfänger dieser großzügigen Gaben ging in dem luxuriös, aber protzig eingerichteten Wohnzimmer auf und ab, während er mit seinem Beraterstab die letzten Einzelheiten eines Immobiliendeals besprach, den er in Wirklichkeit niemals abschließen würde. In Abständen von wenigen Sekunden stellten wechselnde Mitarbeiter Fragen dazu oder ratterten ermutigende Zahlen herunter – alles für die versteckten Mikrofone des Herrschers. Keiner nahm Nadias Anwesenheit auch nur zur Kenntnis, und sie schienen es auch nicht seltsam zu finden, dass sie von Sarah direkt ins Bad geführt wurde. Vor dem Toilettentisch stand eine Art Hochzelt aus undurchsichtigem silbernen Stoff. Sarah ließ sich Nadias Blackberry geben, bevor
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