Der Hintermann
länger du jetzt redest, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir ihn verlieren.«
Michail antwortete mit einem Doppelklick seiner Sprechtaste. Gabriel sah auf sein Notebook, um Nadias Position zu überprüfen.
Sie war auf halbem Weg zum Flughafen.
Michail Abramow trat auf den Korridor hinaus und zog die Zimmertür hinter sich ins Schloss. Die Glock Kaliber .45 mit aufgeschraubtem Schalldämpfer steckte jetzt hinten in seinem Hosenbund. Eine Injektionsspritze mit Suxamethonchlorid hatte er in einer seiner äußeren Jackentaschen. Ein Blick nach rechts zeigte ihm fünf Männer in weißen Kanduras und Ghutras , die um die Ecke zum Foyer vor den Aufzügen bogen. Er folgte ihnen in normalem Tempo, legte aber einen Zwischenspurt ein, sobald er das Klingeln hörte, das die Ankunft einer Kabine signalisierte. Als er das Foyer erreichte, standen die fünf Männer bereits in dem Aufzug, dessen goldglänzende Tür sich eben zu schließen begann. Michail drängte sich eine Entschuldigung murmelnd noch hindurch und blieb vorn in der Kabine stehen, als die Tür sich erneut schloss. In dem auf Hochglanz polierten Metall spiegelten sich die fünf identisch gekleideten Männer hinter ihm. Fünf gepflegte schwarze Bärte mit grauen Strähnen. Fünf goldgeränderte Brillen mit leicht getönten Gläsern. Fünf Gebetsnarben, die erst vor Kurzem gereizt worden zu sein schienen. Es gab nur einen einzigen Unterschied: Während vier der Männer Michails Rücken anstarrten, schien der fünfte Mann die eigenen Schuhspitzen zu betrachten.
Malik …
Zweiundzwanzig Stockwerke höher saß Samir Abbas, Geldbeschaffer für die globale dschihadistische Bewegung, vor seinem Notebook, um sich über den legitimen Tätigkeitsbereich der TransArabian Bank auf den laufenden Stand zu bringen, als an seine Tür geklopft wurde. Das hatte er erwartet, der Ägypter hatte gesagt, er werde gleich nach der Besprechung mit Nadia al-Bakari jemanden vorbeischicken. Wie sich zeigte, hatte er sogar zwei Männer geschickt. Die beiden waren wie Einheimische gekleidet, aber ihr Akzent verriet, dass sie Jordanier waren. Abbas ließ sie ohne zu zögern ein.
»Ist die Besprechung gut verlaufen?«, fragte er.
»Sehr gut«, sagte der ältere Mann. »Frau al-Bakari hat zugesagt, unsere Sache durch eine weitere Spende zu unterstützen. Nun möchten wir die Details mit Ihnen besprechen.«
Abbas wandte sich ab, um die Besucher zu der Sitzgruppe zu geleiten. Erst als er spürte, wie die Garotte in seinen Hals schnitt, wurde ihm sein Fehler bewusst. Ohne Atem holen oder einen Laut von sich geben zu können, krallte Abbas verzweifelt nach dem dünnen Draht, der sich in seine Haut einschnitt. Sauerstoffmangel raubte ihm rasch alle Kraft, sodass er sich kaum wehren konnte, als die Männer ihn zu Boden rangen. Dann spürte Abbas, wie etwas anderes in seinen Hals schnitt, und er erkannte, dass sie ihn enthaupten wollten. Das war die Strafe für Ungläubige und vom Glauben Abgefallene und Feinde des Dschihad. Samir Abbas war nichts dergleichen. Er war ein Gläubiger, insgeheim ein Gotteskrieger. Aber aus Gründen, die er nicht verstand, würde er nun bald ein Schahid sein.
Gnädigerweise begann Abbas das Bewusstsein zu verlieren. Er dachte an das Geld, das er in Zürich in der Speisekammer versteckt hatte, und hoffte, dass Johara oder eines der Kinder es eines Tages finden würde. Dann zwang er sich dazu, stillzuhalten und den Willen Allahs zu erdulden.
Das Messer wurde noch ein paar Mal entschlossen durchgezogen. Abbas sah einen grellweißen Lichtblitz, den er für das Licht des Paradieses hielt. Dann erlosch das Licht, und er versank im Nichts.
60
H OTEL B URJ AL A RAB , D UBAI
Der Aufzug hielt noch zweimal, bevor die Hotelhalle erreicht war. Im zehnten Stock stieg eine Engländerin mit Sonnenbrand zu, im sechsten war es ein chinesischer Geschäftsmann. Die neu Hinzukommenden drängten Michail etwas tiefer in die Kabine hinein. Er stand jetzt so dicht neben Malik, dass er merkte, dass der Atem des Terroristen nach Kaffee roch. Die Glock lag beruhigend hart an seinem Rückgrat, aber es war die Injektionsspritze in seiner Jackentasche, die ihn in Gedanken beschäftigte. Er war versucht, Malik die Nadel in den Oberschenkel zu rammen. Stattdessen starrte er die Kabinendecke an oder auf seine Uhr oder auf die Stockwerksanzeige … nur nicht ins Gesicht des neben ihm stehenden Mörders. Als die Tür sich endlich zum dritten Mal öffnete, ging er hinter der
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