Der Hintermann
telefoniert?«
Carter nickte. »Aus ersichtlichen Gründen. Graham möchte über Ihre Fortschritte informiert werden. Außerdem möchte er im Voraus gewarnt werden, falls Ihr Unternehmen nach Großbritannien überschwappt.«
»Sie haben mich irregeführt, Adrian.«
»Ich bin ein Spion«, sagte Carter. Er paffte Rauchwolken, als er die Pfeife neu anzündete. »Ich lüge gewohnheitsmäßig. Das tun auch Sie. Jetzt müssen Sie nur noch herausbekommen, wie Sie Raschid al-Husseini belügen können. Aber nehmen Sie sich vor ihm in Acht. Er ist sehr gut, unser Raschid. Ich trage Narben, die das beweisen.«
14
G EORGETOWN , W ASHINGTON , D.C.
Das Café lag im äußersten Norden von Georgetown, am Fuß des Book Hill Parks. Gabriel holte sich an der Bar einen Cappuccino und trug ihn durch die offene Terrassentür in einen kleinen Garten zwischen mit wildem Wein bewachsenen Mauern hinaus. Drei Tische standen im Schatten, ein vierter in hellem Sonnenschein. Dort saß eine einzelne Frau, die Zeitung las. Sie trug einen schwarzen Jogginganzug, der ihre schlanke Figur betonte, und makellos weiße Laufschuhe. Ihr schulterlanges blondes Haar war zu einem sportlichen Pferdeschwanz zusammengefasst. Eine Sonnenbrille verbarg ihre Augen, aber nicht ihre bemerkenswerte Schönheit. Als Gabriel herankam, nahm sie die Sonnenbrille ab und hob das Gesicht, um sich küssen zu lassen. Sie schien überrascht zu sein, ihn zu sehen.
»Ich habe gehofft, dass du aufkreuzen würdest«, sagte Sarah Bancroft.
»Hat Adrian dir denn nicht gesagt, dass ich kommen würde?«
»Ach, dafür ist er viel zu altmodisch«, sagte sie mit einer wegwerfenden Handbewegung. Ihre Stimme und Sprechweise schienen aus einer anderen Zeit zu stammen. Man hätte glauben können, eine Romanfigur von F. Scott Fitzgerald reden zu hören. »Er hat mir gestern Abend eine E-Mail geschickt und mich angewiesen, um neun Uhr hier zu sein. Ich sollte bis elf Uhr bleiben. Wäre bis dahin niemand gekommen, hätte ich gehen und ganz normal ins Büro fahren sollen. Nur gut, dass du gekommen bist. Du weißt, wie sehr ich es hasse, versetzt zu werden.«
»Wie ich sehe, hast du dir Lesestoff mitgebracht«, sagte Gabriel mit einem Blick auf die Zeitung.
»Was dagegen?«
»Der Dienst verbietet seinen Agenten, in Cafés Zeitung zu lesen. Das ist viel zu auffällig.« Er machte eine Pause, dann fügte er hinzu: »Ich dachte, wir hätten dich besser ausgebildet, Sarah.«
»Das habt ihr. Aber gelegentlich macht es Spaß, sich wie ein normaler Mensch zu benehmen. Und ein normaler Mensch findet es angenehm, an einem sonnigen Herbstmorgen in einem Café Zeitung zu lesen.«
»Mit einer Glock hinten im Hosenbund?«
»Dass sie meine ständige Begleiterin ist, habe ich dir zu verdanken.«
Sarah lächelte melancholisch. Als Tochter eines reichen Citibank-Direktors hatte sie große Teile ihrer Jugend in Europa verbracht, dort mehrere Fremdsprachen gelernt und sich untadelige europäische Manieren angeeignet. Später war sie nach Amerika zurückgekehrt, um aufs Dartmouth College zu gehen, und hatte nach einem Jahr an dem angesehenen Londoner Courtauld Institute of Art in Harvard in Kunstgeschichte promoviert – als jüngste Frau in der Geschichte dieser Universität.
Aber es war Sarah Bancrofts Liebesleben, nicht ihre erstklassige Ausbildung, die sie in die Welt der Geheimdienste geführt hatte. Als sie ihre Doktorarbeit schrieb, lebte sie mit dem jungen Anwalt Ben Callahan zusammen, der das Unglück hatte, am Morgen des 11. Septembers 2001 an Bord vom United Airlines Flight 75 zu gehen. Bevor die Maschine in den Südturm des World Trade Centers raste, schaffte er’s, noch einmal mit dem Handy zu telefonieren. Dieser Anruf galt Sarah. Mit Adrian Carters Einverständnis und einem verschollen geglaubten van Gogh hatte Gabriel es geschafft, sie bei dem kühnen Versuch, einen Terrorplaner im Umfeld des saudi-arabischen Milliardärs Zizi al-Bakari aufzuspüren, in dessen Hofstaat einzuschmuggeln. Nach diesem erfolgreichen Unternehmen war sie zur CIA gegangen und dem Zentrum für Terrorismusbekämpfung zugewiesen worden. Seit damals unterhielt sie enge Kontakte mit dem Dienst und hatte bei verschiedenen Gelegenheiten mit Gabriel und seinem Team zusammengearbeitet. Sie hatte im Team sogar einen Liebhaber gefunden: einen Auftragskiller und Agenten des Diensts namens Michail Abramow. Dass sie wider Erwarten keinen Verlobungsring trug, bewies Gabriel jedoch, dass diese Beziehung sich schlechter
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