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Der Hintermann

Der Hintermann

Titel: Der Hintermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Gegensatz zu Coyles zweimaliger Überquerung des Potomac Rivers. Eine Zeit lang hatte er versucht, seine Nerven dabei mit New-Age-Musik zu beruhigen, aber die hatte ihn tatsächlich nur noch nervöser gemacht. Inzwischen setzte er auf Hörbücher. Vor Kurzem war er mit Martin Gilberts Meisterwerk über Winston Churchill fertig geworden. Wegen Reparaturarbeiten an der Chain Bridge hatte er sogar keine Woche dafür gebraucht. Coyle hatte Churchills Entschlusskraft schon immer bewundert. In letzter Zeit hatte auch er entschlossen gehandelt.
    Coyle stellte den Motor ab. Er musste auf der Straße parken, weil ihr Haus, das fast eine Million Dollar gekostet hatte, keine Garage besaß. Er hatte gehofft, das Cottage wäre geeignet als Sprungbrett im District: ein Haus als Startposition, das er mit Gewinn würde weiterverkaufen können, um sich in Kent oder Spring Valley oder vielleicht sogar Wesley Heights etwas Größeres zu kaufen. Stattdessen hatte er frustriert zusehen müssen, wie die Preise immer schneller in die Höhe getrieben wurden, unverhältnismäßig zu seinem Beamtengehalt. Heutzutage konnten sich nur die reichsten Washingtoner – blutsaugende Anwälte, korrupte Lobbyisten und gefeierte Journalisten, die bei jeder Gelegenheit gegen die Agency hetzten – ein Haus in diesen Vierteln leisten. Selbst in The Palisades wurden malerische Cottages abgerissen und durch protzige Villen ersetzt. Coyles Nachbar, ein erfolgreicher Anwalt namens Roger Blankman, hatte sich letztes Jahr eine kunsthandwerkliche Monstrosität errichtet, deren langer Schatten nun Coyles bis dahin sonnigen Frühstücksplatz verfinsterte. Und Blankmans schlecht erzogene Kinder strolchten ständig auf Coyles Grundstück herum, aber das tat auch das Heer von Landschaftsgärtnern, das er beschäftigte, um seine Wachholderbüsche und sonstige Hecken ständig neu in Form bringen zu lassen. Coyle revanchierte sich dafür, indem er Blankmans Springkraut vergiftete. Coyle glaubte an die Wirksamkeit verdeckter Methoden.
    Jetzt saß er unbeweglich am Steuer und starrte das Licht an, das aus seinem Küchenfenster fiel. Er hatte schon die nächste Szene vor Augen, sie veränderte sich von Abend zu Abend kaum. Norah würde mit ihrem ersten Glas Merlot in der Küche sitzen, die Post sichten und sich dabei irgendeine dämliche Sendung im Public Radio anhören. Sie würde ihn mit einem geistesabwesenden Kuss begrüßen und daran erinnern, dass Lucy, ihr schwarzer Neufundländer, Gassi geführt werden musste. Wie das Haus in The Palisades war der Köter Norahs Idee gewesen, aber irgendwie hatte es sich so ergeben, dass Coyle für Lucys Verdauungsspaziergänge zuständig war. Also ging er mit ihr in den Battery Kemble Park, eine bewaldete Hügellandschaft, die Frauen ohne Begleitung besser mieden. An manchen Tagen, wenn ihm besonders rebellisch zumute war, ließ er Lucys Häufchen im Park liegen, statt es einzusammeln und zu Hause zu entsorgen. Coyle war auch noch zu anderen sich auflehnenden Taten fähig, die er vor Norah und seinen Kollegen in Langley geheim hielt.
    Eines seiner Geheimnisse war Renate. Sie hatten sich vor einem Jahr in einer Brüsseler Hotelbar kennengelernt. Coyle war aus Langley gekommen, um an einer Konferenz europäischer Terroristenfahnder teilzunehmen. Renate, eine Fotografin aus Hamburg, war hier, um einen Menschenrechtsaktivisten für ihre Zeitschrift zu fotografieren. Die beiden Nächte, die sie zusammen verbrachten, waren die leidenschaftlichsten in Ellis Coyles Leben gewesen. Ein Vierteljahr später trafen sie sich erneut, als Coyle einen Grund für eine Dienstreise nach Berlin erfand, und dann einen Monat später, als Renate nach Washington kam, um eine Sitzung der Weltbank zu fotografieren. Ihre Leidenschaft erreichte ein noch höheres Maß, wie auch ihre Liebe zueinander. Renate, die ledig war, flehte ihn an, seine Frau zu verlassen. Coyle versicherte ihr unter Tränen, dazu sei er fest entschlossen. Doch sei vorher noch etwas anderes zu erledigen. Es würde einige Zeit dauern, erklärte er ihr, aber nicht weiter schwierig sein. Coyle hatte Zugang zu Geheimnissen, die sich zu Gold spinnen ließen. Seine Tage in Langley waren gezählt. Ebenso wie die Abende, an denen er zu Norah und ihrem kleinen Cottage in The Palisades heimkehren würde.
    Er stieg aus dem Auto und ging hinein. Norah trug einen unattraktiven Plisseerock, dicke Strümpfe und diese Lesebrille mit halbmondförmigen Gläsern, die ihr einzigartig schlecht stand, wie

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