Der Hintermann
Coyle fand. Er ließ ihren gefühlskalten Kuss über sich ergehen und murmelte: »Natürlich, Schatz«, als sie ihn daran erinnerte, Lucy müsse Gassi geführt werden. »Und bleib nicht zu lange fort, Ellis«, fügte sie hinzu, während sie stirnrunzelnd die Stromrechnung anstarrte. »Du weißt, wie einsam ich mich fühle, wenn du weg bist.«
Coyle benutzte Techniken, die er bei der Agency gelernt hatte, um seine Schuldgefühle zu unterdrücken. Als er aus der Haustür trat, konnte er beobachten, wie Blankman seinen riesigen Mercedes in die mittlere Einfahrt seiner Dreiergarage lenkte. Lucy knurrte leise, bevor Coyle sie in Richtung MacArthur Boulevard mit sich zog. Jenseits der breiten Straße lag der Parkeingang. Ein braunes Holzschild verkündete, Radfahren sei verboten und für Hunde bestehe Leinenpflicht. Am Fuß des Holzpflocks, halb von Unkraut verborgen, war ein Kreidezeichen angebracht. Coyle machte Lucy von der Leine los und sah zu, wie sie mit großen Sätzen in den Park lief. Dann rieb er das Zeichen mit der Schuhspitze weg und folgte dem Neufundländer.
T EIL II
Das Investment
21
N EW Y ORK C ITY
Ein bemerkenswert zutreffender Bericht über das beunruhigende neue Terroristengeschwätz erschien am folgenden Morgen in der New York Times . Gabriel las den Artikel mit mehr als nur flüchtigem Interesse auf seiner Zugfahrt im Amtrak Acela von Washington nach New York. Seine Sitznachbarin, eine Washingtoner Politikberaterin, telefonierte auf der ganzen Fahrt lautstark mit ihrem Handy. Alle zwanzig Minuten marschierte ein Polizist in einer Art Kampfausrüstung mit einem Bombenspürhund durch den Wagen. Die Heimatschutzbehörde schien endlich begriffen zu haben, dass die Amtrak-Züge rollende Schauplätze terroristischer Katastrophen waren, die jederzeit ausgelöst werden konnten.
Kalter Nieselregen empfing Gabriel, als er aus der Penn Station trat. Dennoch verbrachte er die folgende Stunde damit, kreuz und quer durch Midtown Manhattan zu laufen. An der Ecke Lexington Avenue und East Sixty-third Street sah er Chiara mit ihrem Handy am rechten Ohr vor der Auslage eines Schuhgeschäfts stehen. Hätte sie das Mobiltelefon ans linke Ohr gehalten, hätte das signalisiert, dass Gabriel beschattet wurde. Das Handy am rechten Ohr bedeutete, dass er clean war und unbesorgt zu seinem Zielort weitergehen konnte.
Er ging weiter durch die Innenstadt zur Fifth Avenue. Dina, die als Halstuch eine schwarz-weiße Kaffijah trug, saß auf der Begrenzungsmauer des Central Parks. Einige Schritte weiter südlich kaufte Eli Lavon sich bei einem Straßenhändler eine Limonade. Gabriel ging wortlos an den beiden vorbei und hielt auf die Bücherstände an der Ecke der East Sixtieth Street zu. An einem der Tapeziertische stand eine attraktive junge Frau, die scheinbar gelangweilt in Büchern blätterte, als wolle sie bis zu einem Termin etwas Zeit totschlagen. Auch nachdem Gabriel neben sie getreten war, hob sie nicht gleich den Kopf, sondern sah ihn erst nach einer kurzen Weile sekundenlang schweigend an. Sie hatte schwarzes Haar, einen südländischen Teint und große braune Augen. Dann huschte ein schwaches Lächeln über ihr Gesicht. Nicht zum ersten Mal hatte Gabriel dabei das unbehagliche Gefühl, von einer Gestalt aus einem Gemälde studiert zu werden.
»War’s wirklich notwendig, mich die verdammte U-Bahn nehmen zu lassen?«, fragte Zoe Reed mit ihrem vornehmen Londoner Akzent.
»Wir mussten sicherstellen, dass Sie nicht beschattet werden.«
»Was offenbar nicht der Fall ist, sonst wären Sie nicht hier.«
»Sie sind clean.«
»Da bin ich aber erleichtert«, sagte sie kokett. »Dann dürfen Sie mich auf einen Drink ins Pierre einladen. Ich war heute seit sechs Uhr auf Sendung.«
»Dafür ist Ihr Gesicht viel zu bekannt, fürchte ich. Sie sind ein richtiger Star geworden, seit Sie in Amerika sind.«
»Ich war schon immer ein Star«, antwortete sie neckisch. »Das nimmt nur keiner wahr, solange man nicht beim Fernsehen ist.«
»Wie ich höre, sollen Sie eine eigene Show bekommen.«
»Sogar zur besten Sendezeit. Es soll eine anspruchsvolle Talkshow mit den Schwerpunkten Weltpolitik und -wirtschaft werden. Vielleicht hätten Sie Lust, bei der Premiere aufzutreten?« Sie senkte die Stimme und fügte im verschwörerischen Tonfall hinzu: »Wir könnten der Welt endlich erklären, wie wir gemeinsam das iranische Atomprogramm sabotiert haben. Das hätte das Zeug zu einem Blockbuster. Junge trifft Mädchen. Junge verführt
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