Der Hintermann
starrte Nadia mit blauen Augen sekundenlang ausdruckslos an. Sie verzichtete darauf, sich unter falschem Namen vorzustellen. Das wäre unpassend gewesen.
»Hallo, Nadia«, sagte Sarah Bancroft ruhig. »Wie schön, Sie wiederzusehen.«
Nadia schrak leicht zurück, wirkte erstmals etwas ängstlich. »Mein Gott«, sagte sie nach kurzem Zögern. »Sind Sie’s wirklich? Ich habe gefürchtet, Sie seien …«
»Tot?«
Nadia gab keine Antwort. Ihr Blick wanderte langsam von einem Gesicht zum anderen, bevor er bei Zoe hängen blieb.
»Wissen Sie, wer diese Leute sind?«
»Natürlich.«
»Arbeiten Sie für sie?«
»Ich arbeite für CNBC in New York.«
»Weshalb sind Sie dann hier?«
»Sie müssen mit Ihnen reden. Es gab keine andere Möglichkeit, ein Gespräch anzubahnen.«
Diese Erklärung schien Nadia zumindest vorläufig zu akzeptieren. Sie sah sich erneut im Raum um. Diesmal nahm sie Sarah ins Visier.
»Worum geht es hier?«
»Um Sie, Nadia.«
»In welcher Beziehung um mich?«
»Sie versuchen, die islamische Welt umzumodeln. Wir möchten Ihnen dabei helfen.«
»Wer sind Sie?«
»Ich bin Sarah Bancroft, die junge Amerikanerin, die Ihrem Vater ein Gemälde von van Gogh verkauft hat. Danach hat er mir einen Job als seine persönliche Kunstberaterin angeboten. Ich war als Gast an Bord seiner Jacht auf Ihrer jährlichen Winterkreuzfahrt durch die Karibik. Dann bin ich verschwunden.«
»Sind Sie eine Geheimagentin?«, fragte Nadia, aber Sarahs Antwort bestand nur daraus, ihr die Hand hinzustrecken. Nadias Reise war fast zu Ende. Vor ihr lag nur noch eine letzte Etappe. Sie musste nur noch eine letzte Person kennenlernen.
29
S ERAINCOURT , F RANKREICH
Von dem prunkvollen Salon durch eine hohe zweiflüglige Tür getrennt lag ein kleineres, weniger formelles Gesellschaftszimmer mit wandhohen Bücherschränken und einer Polstergarnitur vor dem großen offenen Kamin. Dies war ein behaglicher, intimer Raum, in dem Küsse geraubt, Sünden gebeichtet und geheime Allianzen geschmiedet worden waren. Nachdem Sarah sie hineinbegleitet hatte, hatte Nadia geistesabwesend einen Rundgang gemacht, bevor sie sich an ein Ende eines langen Sofas gesetzt hatte. Wie um das Gleichgewicht zu bewahren, nahm Zoe am anderen Ende Platz, und Sarah saß ihnen mit sittsam im Schoß gefalteten Händen und gesenktem Blick gegenüber. Die restlichen Angehörigen des Teams waren in ungezwungener Haltung im Raum verteilt, als nähmen sie eine durch Nadias Ankunft unterbrochene Party wieder auf. Die einzige Ausnahme war Gabriel, der mit einer Hand am Kinn und leicht schief gehaltenem Kopf vor dem nicht angezündeten Kamin stand. In diesem Augenblick versuchte er zu entscheiden, wie er die einfache Frage, die Nadia ihm wenige Sekunden nach Betreten des Raums gestellt hatte, am besten beantworten könnte. Durch sein Schweigen frustriert wiederholte sie ihre Frage, diesmal mit mehr Nachdruck.
»Wer seid ihr alle?«
Gabriel nahm die Hand vom Kinn und deutete damit auf die Personen, deren Namen er nannte. »Dies sind die Fowlers, Thomas und Jenny. Thomas verdient Geld. Jenny gibt es aus. Die etwas melancholische junge Dame dort drüben ist Emma. Thomas und sie sind alte Freunde. Tatsächlich waren die beiden mal ein Liebespaar, und wenn Jenny einen weniger guten Moment hat, hält sie die beiden noch immer für eines.« Er machte eine Pause, um Sarah eine Hand auf die Schulter zu legen. »Und an diese Frau erinnern Sie sich natürlich. Dies ist Sarah, unser Star. Sarah besitzt mehr Diplome als wir alle miteinander. Trotz einer teuren Ausbildung, die ihr schuldbewusster Vater bezahlt hat, hat sie vor einigen Jahren in einer leicht heruntergekommenen Londoner Galerie gearbeitet, die wiederum Ihr Vater auf der Suche nach einem van Gogh für seine Sammlung betrat. Sarah hat ihn so beeindruckt, dass er seinen langjährigen Kunstberater gefeuert und ihr den Job angeboten hat – zu einem Mehrfachen ihres letzten Gehalts. Eines der Boni war eine Einladung zu einer Karibikkreuzfahrt an Bord der Alexandra gewesen. Soweit ich mich erinnere, benahmen Sie sich anfangs ziemlich abweisend. Aber bis die zauberhafte Insel St. Barthélemy erreicht war, waren Sarah und Sie gute Freundinnen. Vertraute, würde ich sagen.«
Sarah benahm sich, als habe sie nichts davon gehört. Nadia musterte sie einen Augenblick, bevor sie sich wieder Gabriel zuwandte.
»Dass diese vier Personen zur selben Zeit auf St. Barts waren, war kein Zufall. Wir sind alle
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