Der Hintermann
Team aus der Gegenwart in die nähere Vergangenheit führen würde. Die Details dieser Fahrt mussten sorgfältig abgewogen werden. Sie würde angenehm sein müssen, damit Nadia sich nicht abschrecken ließ, und trotzdem so zwingend, dass sie nicht ans Umkehren dachte. Selbst Gabriel, der die endgültige Strategie ausgearbeitet hatte, schätzte die Chancen nicht besser als eins zu drei ein. Eli Lavon war noch pessimistischer. Aber Lavon, der biblische Katastrophen studierte, machte sich von Natur aus zu viele Sorgen.
In diesem Augenblick dachte Lavon jedoch nicht an einen möglichen Misserfolg. In wetterfester Kleidung und mit einem kräftigen Wanderstock in der Hand war er scheinbar geistesabwesend auf dem mit Gras bewachsenen Seitenstreifen der Rue des Vallées unterwegs. Er blieb kurz stehen, um dem vorbeifahrenden Maybach nachzustarren – alles andere wäre unnatürlich gewesen –, achtete aber nicht weiter auf den kleinen Renault-Kombi, der der großen Limousine wie ein armer Irrer folgte. Hinter dem Renault war die Straße leer, worauf Lavon gehofft hatte. Er hob eine Hand an den Mund, als müsse er plötzlich husten, und teilte so Gabriel mit, die Zielperson sei nur von der Heimmannschaft begleitet zum Château unterwegs.
Der Maybach war inzwischen auf die Route des Hèdes abgebogen und rauschte mit hoher Geschwindigkeit an dem alten Weinberg vorbei. Er fuhr durch das imposante Schlosstor und folgte der langen mit Kies bestreuten Auffahrt, an deren Ende Jossi in der lässig entspannten Haltung wartete, die nur mit viel Geld zu kaufen ist. Er geduldete sich, bis die Limousine angehalten hatte, bevor er auf sie zutrat … um dann zu erstarren, als al-Kamal aggressiv aus dem Wagen sprang. Der Chef von Nadia al-Bakaris Sicherheitsdienst blieb einige Sekunden lang neben dem Maybach stehen und suchte die Schlossfassade mit den Augen ab, bevor er die hintere Tür öffnete. Nadia kam Stück für Stück zum Vorschein: erst ein teurer Stiefel, der auf den Kies gesetzt wurde, dann eine beringte Hand am Türgriff, schließlich seidenweiches schwarzes Haar, das in der Nachmittagssonne glänzte.
Aus Gründen, die Gabriel für sich behielt, hatte er beschlossen, ihre Ankunft durch ein Foto dokumentieren zu lassen, das bis heute im Archiv am King Saul Boulevard liegt. Auf der von Chiara aus dem ersten Stock gemachten Aufnahme tritt Nadia al-Bakari mit Zoe an ihrer Seite auf Thomas Fowler zu – die rechte Hand zögernd ausgestreckt, mit der linken den Hals einer Flasche Château Latour umklammernd. Ihre Stirn ist ganz leicht gerunzelt, und in ihrem Blick liegt eine Andeutung des Wiedererkennens. Tatsächlich hatte sie diesen Mann schon einmal auf der Insel St. Barts gesehen: in einer malerischen kleinen Strandbar mit Blick auf die Marschen der Saline. Nadia hatte an jenem Nachmittag Daiquiris getrunken, der braun gebrannte Mann hatte an einem der Nachbartische bei einem Bier gesessen. Seine Begleiterin war eine spärlich bekleidete rotblonde Frau mit Rubensfigur gewesen – dieselbe Frau, die jetzt so elegant und teuer wie Nadia gekleidet aus dem Schlossportal trat. Eine Frau, die dann Nadias Hand hielt, als wolle sie sie nie mehr loslassen. »Ich bin Jenny Fowler«, sagte Rimona Stern. »Freut mich sehr, dass Sie uns die Ehre geben. Bitte kommen Sie herein, bevor Sie sich den Tod holen.«
Damit war die erste Etappe von Nadias Reise erfolgreich abgeschlossen. Alle setzten sich gleichzeitig in Bewegung und gingen aufs Schlossportal zu. Der Bodyguard wollte sich ihnen anschließen, aber als erste verschwörerische Tat bedeutete Nadia ihm, er solle zurückbleiben, und beschwichtigte ihn mit ein paar gemurmelten arabischen Worten. Falls sie glaubte, ihre Gastgeber würden sie nicht verstehen, täuschte sie sich, denn die Fowlers sprachen beide fließend Arabisch. Das tat auch die zierliche schwarzhaarige Frau, die sie in der prunkvollen Eingangshalle unter dem Kronleuchter stehend erwartete. Auch an sie glaubte Nadia sich schemenhaft erinnern zu können. »Ich bin Emma«, sagte Dina Sarid. »Ich bin eine alte Freundin der Fowlers. Freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Nadia ergriff die ausgestreckte Hand, was den geglückten Abschluss einer weiteren Etappe markierte, und ließ sich von Dina in den großen Salon führen. An einer der Terrassentüren, die in den gepflegten Park hinausführten, stand eine hellblonde Frau mit Alabasterteint. Als sie Schritte hinter sich hörte, drehte sie sich langsam um und
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