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Der Hintermann

Der Hintermann

Titel: Der Hintermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Frauen taten das sofort. Die elfte Frau, Nadia al-Bakari, blieb auf ihrem gewohnten Platz sitzen und arbeitete weiter einen Stapel Akten durch, bis die ersten Lichter von Riad wie auf dem Wüstenboden verstreute Bernsteinstücke sichtbar wurden. Vor hundert Jahren war die saudische Hauptstadt kaum mehr als ein im Westen praktisch unbekannter von Lehmwällen umgebener Vorposten gewesen, ein Punkt auf der Landkarte irgendwo zwischen den Sarawat-Bergen und der Golfküste. Erdöl hatte Riad in eine internationale Metropole mit Palästen, Wolkenkratzern und Einkaufszentren verwandelt. Der Wohlstand, den Petrodollars gebracht hatten, war jedoch in vieler Beziehung eine Illusion. Trotz der Milliarden, die das Haus Saud für die Modernisierung seines verschlafenen Wüstenkönigreichs verwandt hatte, hatte es viele weitere Milliarden für Jachten, Mätressen und Ferienhäuser in Marbella verprasst. Und noch schlimmer: Es hatte kaum Vorkehrungen für den Tag getroffen, an dem die letzte Ölquelle versiegen würde. Auf den Ölfeldern und in den Palästen schufteten zehn Millionen ausländische Arbeitnehmer, aber Hunderttausende von jungen Saudi-Arabern konnten keine Arbeit finden. Außer Rohöl waren die wichtigsten Exportgüter des Landes Datteln und Korane. Und bärtige Fanatiker, dachte Nadia grimmig, während sie beobachtete, wie die leuchtenden Punkte unter ihr sich zum Lichtermeer der Hauptstadt zusammenschlossen. Was die Produktion von islamischen Extremisten betraf, gehörte Saudi-Arabien zu den Weltmarkführern.
    Nadia wandte sich vom Fenster ab und sah sich im Inneren des Flugzeugs um. Die vordere Kabine war mit bequemen Sesseln an den Wänden und kostbaren Orientteppichen auf dem Boden als Salon eingerichtet. Dort saßen die ausschließlich männlichen Führungskräfte der AAB Holding – Daoud Hamza, das Juristenteam Abdul & Abdul und natürlich Rafiq al-Kamal. Er starrte Nadia missbilligend an, als wolle er sie wortlos daran erinnern, dass es höchste Zeit wurde, sich umzuziehen. Sie waren kurz davor, im Land der unsichtbaren Frauen zu landen, was bedeutete, dass al-Kamal mehr als nur Nadias Leibwächter sein würde. Er würde auch als ihr männlicher Begleiter fungieren, der gesetzlich verpflichtet war, sie überall zu eskortieren, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegte. In wenigen Minuten würde Nadia al-Bakari, eine der reichsten Frauen der Welt, nur noch die Rechte eines Kamels besitzen. Noch weniger, dachte sie verärgert, denn sogar Kamele durften ihr Gesicht öffentlich zeigen.
    Sie stand wortlos auf und ging durch die Maschine zu ihrer elegant eingerichteten Privatkabine im Flugzeugheck. Als sie den Kleiderschrank öffnete, sah sie ihre saudischen Gewänder schlaff auf einem Bügel hängen: das Unterkleid, eine einfache weiße Thobe , das Übergewand, eine bestickte schwarze Abaya und der schwarze Gesichtsschleier, der Niqab . Nur einmal, dachte sie, würde sie auf den Straßen ihres Heimatlandes in bequemer weißer Kleidung statt in einem einengenden schwarzen Kokon unterwegs sein wollen. Aber das war natürlich nicht möglich. Selbst Reichtum von der Größenordnung, wie die al-Bakaris ihn besaßen, bot keinen Schutz vor den fanatischen Mutawin , der Religionspolizei. Außerdem war dies kaum der richtige Zeitpunkt, um die sozialen und religiösen Normen Saudi-Arabiens auf die Probe zu stellen. Sie war in ihr Heimatland zurückgekehrt, um privat mit Scheich Marwan bin Taijib, dem Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Mekka, zusammenzutreffen. Der hoch angesehene Imam wäre sicher peinlich berührt gewesen, wenn Nadia wegen Verstoßes gegen die islamische Kleiderordnung von den Bärtigen festgenommen worden wäre.
    Sie legte widerstrebend ihren Hosenanzug von Oscar de la Renta ab und kleidete sich sorgfältig in Schwarz. Mit dem Niqab , der das Gesicht verdeckte, das Allah ihr gegeben hatte, stand sie vor dem Spiegel und begutachtete ihre Erscheinung. Jetzt waren nur mehr ihre Augen und ein schmaler Hautstreifen um die Fußknöchel zu sehen. Alle übrigen sichtbaren Beweise ihrer Existenz waren ausgelöscht. Und als Nadia in die vordere Kabine zurückkam, nahmen die Männer ihre Rückkehr kaum zur Kenntnis. Nur der Libanese Daoud Hamza machte sich die Mühe, von ihrer Anwesenheit Notiz zu nehmen. Die anderen, alle Saudis, vermieden es bewusst, zu ihr hinüberzublicken. Das Übel ist zurückgekehrt, dachte sie, das alte Übel, das Saudi-Arabien verkörpert. Dass sie ihre Arbeitgeberin war,

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