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Der Hintermann

Der Hintermann

Titel: Der Hintermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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spielte keine Rolle mehr. Allah hatte sie zu einer Frau gemacht, und bei ihrer Ankunft im Land des Propheten würde sie den ihr angemessenen Platz einnehmen müssen.
    Ihre Landung auf dem King Khalid International Airport fiel mit dem Abendgebet zusammen. Weil Nadia nicht mit den Männern beten durfte, blieb ihr nichts anderes übrig, als geduldig zu warten, bis sie dieser wichtigsten Säule des Islams ihre Reverenz erwiesen hatten. Dann stieg sie von mehreren verschleierten Frauen umgeben die Fluggasttreppe hinunter und kämpfte damit, nicht über den Saum ihrer Abaya zu stolpern. Übers Rollfeld wehte ein eisiger Wind, der dichte braune Staubwolken aus dem Nedschd mit sich brachte. Mit schräg in den Wind gelegtem Oberkörper folgte Nadia ihren Angestellten in das Terminal für Allgemeine Luftfahrt. Dort trennten sich ihre Wege, denn wie in allen öffentlichen Einrichtungen Saudi-Arabiens herrschte im Ankunftsgebäude Geschlechtertrennung. Trotz der AAB-Gepäckaufkleber wurde ihr Gepäck sorgfältig nach Pornografie, Alkohol und sonstigen Spuren westlicher Dekadenz durchsucht.
    Vor dem Terminal stieg sie mit Rafiq al-Kamal in einen bereitstehenden Mercedes – sie hinten, er vorn –, um sich fünfunddreißig Kilometer weit in die Stadt fahren zu lassen. Durch den Sandsturm betrug die Sichtweite nur wenige Meter. Gelegentlich kamen die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Wagens wie die Positionslichter eines kleinen Boots auf sie zugetanzt, aber die meiste Zeit schien keiner außer ihnen unterwegs zu sein. Nadia wünschte sich nichts mehr, als den Niqab abnehmen zu können, doch sie beherrschte sich. Die Mutawin waren immer auf der Suche nach unverschleierten Frauen in Autos – vor allem nach im Westen lebenden reichen Frauen, die zu einem Kurzbesuch in der Heimat waren.
    Nach einer Viertelstunde tauchte endlich die Skyline von Riad aus dem dunkelbraunen Dunst auf. Sie fuhren in flottem Tempo an der Ibn Saud Islamic University vorbei und gelangten nach mehreren Kreisverkehren auf die King Fahd Road, die Hauptstraße des florierenden neuen Bankenviertels al-Olaja. Genau vor ihnen erhob sich das Kingdom Center, das wie ein stehen gebliebener moderner Aktenkoffer aussah, der darauf wartete, von seinem vergesslichen Eigentümer abgeholt zu werden. In seinem Schatten stand die glitzernde neue Makkah Mall, die nach dem Abendgebet wieder geöffnet hatte und jetzt von Horden Einkaufswilliger gestürmt wurde. Mutawin mit Schlagstöcken patrouillierten zu zweit durch die Menge und hielten Ausschau nach freizügiger Kleidung oder unpassendem Benehmen. Nadia musste wieder an Rena denken, und erstmals seit ihrem Besuch in Seraincourt durchfuhr sie plötzlich nackte Angst.
    Doch schon im nächsten Augenblick war sie wieder verflogen, als der Mercedes auf die Musa bin Nusiar Street abbog und nach al-Schumajsi weiterfuhr, wo die von Mauern umgebenen Paläste der Prinzen des Königshauses und anderer Angehöriger der saudischen Elite standen. Der Besitz der Familie al-Bakari lag am Westrand dieses Viertels an einer Straße, auf der ständig Polizei und Militär patrouillierten. Der Palast, eine wenig geglückte Mischung aus östlichen und westlichen Stilelementen, war von einem über einen Hektar großen Park mit Spiegelteichen, Brunnen, Rasenflächen und Palmenhainen umgeben. Seine hohen weißen Mauern sollten für jeden Feind unüberwindbar sein, aber sie waren kein Hindernis für die Staubwolken, die über den Vorhof wirbelten, als die Limousine langsam durch das massive Tor fuhr.
    Das nur aus Asiaten bestehende zehnköpfige Hauspersonal hatte sich zur Begrüßung unter dem Säulenvordach aufgestellt. Nadia, die hinten aus dem Mercedes ausstieg, hätte es gern freundlich begrüßt. Stattdessen spielte sie die Rolle der unnahbaren saudischen Milliardenerbin, ging wortlos an den Leuten vorbei und stieg die große Freitreppe hinauf. Als sie den ersten Treppenabsatz erreichte, hatte sie sich bereits den Gesichtsschleier abgerissen. In der Ungestörtheit ihrer Gemächer zog sie sich ganz aus und stand nackt vor einem der Wandspiegel – bis eine Woge leichten Schwindels sie erfasste und auf die Knie zwang. Sobald er abgeklungen war, wusch sie sich den Staub des Nedschd aus dem Haar, streckte sich mit geschlossenen Beinen und ausgebreiteten Armen auf dem Teppich aus und wartete auf das Einsetzen des vertrauten Gefühls der Schwerelosigkeit. Nicht mehr lange, dachte sie. Noch ein paar Monate, vielleicht nur ein paar Wochen. Dann

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