Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hintermann

Der Hintermann

Titel: Der Hintermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
Vom Netzwerk:
Nadia den Fahrer an, auf eine schmalere Straße abzubiegen, die nach Westen in die Wüste hineinführte. Rafiq al-Kamal war inzwischen sichtbar unruhig. Nadia hatte ihm ihre Absicht, den Nedschd zu besuchen, erst bei der Abfahrt vom Four Seasons mitgeteilt, und selbst dann waren ihre Erklärungen wolkig geblieben. Sie sagte, sie sei zum Abendessen im Familienlager von Scheich Marwan bin Taijib, einem wichtigen Mitglied der Ulema , eingeladen. Nach dem Mahl – natürlich mit strikter Trennung der Geschlechter – würde sie mit dem Scheich zusammentreffen, um mit ihm Fragen zu besprechen, die mit der Almosensteuer Zakat zusammenhingen. Bei dieser Zusammenkunft brauchte sie keinen männlichen Begleiter, weil der Geistliche ein guter und gelehrter, für seine Frömmigkeit bekannter Mann war. Auch ihre Sicherheit war bestimmt gewährleistet. Al-Kamal hatte sich ihrer Entscheidung gefügt, aber dass er damit unzufrieden war, war ihm deutlich anzumerken.
    Inzwischen war es fast siebzehn Uhr, und der endlos hohe Himmel wurde langsam farblos grau. Sie rasten durch Dattelhaine und Zitronen- sowie Orangenplantagen und bremsten nur einmal, um einen knorrigen alten Hirten seine Ziegen über die Straße treiben zu lassen. Al-Kamal schien sich mit jedem Kilometer mehr zu entspannen. Weil er aus diesem Gebiet stammte, konnte er auf die wichtigeren Sehenswürdigkeiten aufmerksam machen. Und in Unajsa, einer für die Reinheit ihres Islams bekannten Kleinstadt, bat er sogar, einen kleinen Umweg machen zu dürfen, damit er das bescheidene Haus wiedersehen konnte, in dem er als Kind mit einer der vier Ehefrauen seines Vaters gelebt hatte.
    »Ich wusste gar nicht, dass Sie von hier stammen«, sagte Nadia al-Bakari.
    »Wie Scheich bin Taijib«, bestätigte er nickend. »Ich habe ihn als Jungen gekannt. Wir waren in derselben Schule und haben in derselben Moschee gebetet. Marwan war damals ein ziemlicher Unruhestifter. Er hat Schwierigkeiten bekommen, weil er das Schaufenster einer Videothek eingeworfen hat. Die sei unislamisch, hat er gesagt.«
    »Und Sie?«
    »Mich hat der Shop nicht gestört. In Unajsa konnte man nicht viel tun, außer Videos zu gucken und in die Moschee zu gehen.«
    »Wie man hört, hat der Scheich sich inzwischen etwas gemäßigt.«
    »Für die Muslime von Unajsa ist ›Mäßigung‹ ein Fremdwort«, sagte al-Kamal. »Sollte Marwan seither anders auftreten, ist das nur eine Maske. Er ist durch und durch ein Islamist. Und er hält nicht viel von den al-Saud, obwohl sie ihn gut bezahlen. Sehen Sie sich im Umgang mit ihm lieber vor.«
    »Ich werd’s mir merken.«
    »Vielleicht sollte ich zu dem Gespräch mitgehen.«
    »Ich komme allein zurecht, Rafiq.«
    Al-Kamal schwieg, als sie Unajsa verließen und tiefer in die Wüste hineinfuhren. Direkt vor ihnen, hinter einer mit Felsbrocken durchzogenen Geröllfläche, ragte ein Steilhang auf, dessen Gestein Sand und Wind in Millionen von Jahren geformt hatten. Das Lager des Scheichs lag nördlich des Steilhangs am Rand eines tiefen Wadis. Nadia konnte spüren, wie schwere Steine gegen den Wagenboden polterten, als sie jetzt einer mit Schlaglöchern übersäten unbefestigten Straße folgten.
    »Ich wollte, Sie hätten mir gesagt, wohin wir fahren«, sagte al-Kamal. »Dann hätten wir einen der Range Rovers genommen.«
    »Ich dachte nicht, dass es so schlimm sein würde.«
    »Das Lager liegt in der Wüste. Wie, meinten Sie, sollte unser Weg sonst aussehen?«
    Nadia musste unwillkürlich lachen. »Hoffentlich sieht mein Vater uns jetzt nicht.«
    »Ich hoffe, dass er’s tut.« Al-Kamal sah sie sekundenlang schweigend an. »Ich war ständig an der Seite Ihres Vaters, Nadia, auch bei höchst vertraulichen Gesprächen mit Männern wie Scheich bin Taijib. Er hat mir sein Leben anvertraut. Leider konnte ich ihn in jener Nacht in Cannes nicht beschützen, aber ich hätte ihn jederzeit mit meinem Leib gedeckt. Und ich würde das Gleiche für Sie tun. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?«
    »Ich denke schon, Rafiq.«
    »Gut«, sagte er. »So Allah will, wird das Treffen heute Abend ein Erfolg. Aber nächstes Mal informieren Sie mich rechtzeitig, damit ich entsprechende Vorbereitungen treffen kann. Das ist immer besser. Keine Überraschungen.«
    »Zizis Regeln?«, fragte sie.
    »Zizis Regeln«, bestätigte er nickend. »Zizis Regeln sind wie die Lehren des Propheten, Friede sei mit ihm. Befolgt man sie sorgfältig, schenkt einem Allah ein langes, glückliches Leben. Ignoriert man

Weitere Kostenlose Bücher