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Der Hintermann

Der Hintermann

Titel: Der Hintermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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die zur Zeit des Propheten, Friede sei mit ihm, einen jüdischen Spion umgebracht hat«, sagte sie stolz. Rafiq al-Kamal hatte richtig vermutet, woher der Toyota Camry stammte: Ali hatte ihn als Absolvent des Programms zur Wiedereingliederung von Terroristen bekommen. Und er hatte auch Safia mitsamt einer ansehnlichen Mitgift bekommen. In vier Monaten erwarteten sie ihr erstes Kind. » Inschallah wird es ein Junge«, sagte sie.
    »Wenn Allah will«, wiederholte Nadia betont heiter, entgegen ihrer tatsächlichen Stimmung.
    Nadia nahm sich eine kleine Portion Huhn und Reis, dann sah sie sich unter den Frauen genauer um. Einige wenige hatten ihre Niqabs abgelegt, aber die meisten – auch Adara und Safia – mühten sich ab, verschleiert zu essen. Das tat auch Nadia, während sie zuhörte, was um sie herum geschwatzt wurde. Die Unterhaltung war schrecklich banal: Familienklatsch, das neueste Einkaufszentrum in Riad, die Erfolge ihrer Kinder. Natürlich nur ihrer Söhne, denn Töchter waren Symbole für Versagen an der Gebärfront. So verbrachten sie ihr Leben, in eigenen Räumen oder eigenen Zelten eingesperrt, stets nur mit Frauen genau wie sie selbst zusammen. Sie gingen nie ins Theater, weil es im ganzen Land kein einziges Schauspielhaus gab. Sie gingen in keine Diskotheken, weil Musik und Tanz strikt haram waren. Sie lasen nichts als den Koran – den sie von den Männern getrennt studierten – und stark zensierte Zeitschriften, in denen für Kleidung geworben wurde, die sie in der Öffentlichkeit nicht tragen durften. Manchmal schenkten sie sich gegenseitig körperliche Freuden, das schmutzige kleine Geheimnis Saudi-Arabiens, aber größtenteils führten sie ein Leben in bedrückender, deprimierender Langeweile. Und wenn es zu Ende war, würden sie nach wahhabitischer Tradition im heißen Sand des Nedschd ein flaches Grab ohne Grabstein erhalten.
    Trotz alledem fühlte Nadia sich in der warmen Umarmung ihres Volkes und ihres Glaubens fast gegen ihren Willen geborgen. Dies war etwas, das westliche Ausländer nie verstanden: Der Islam war allumfassend. Er weckte einen morgens mit dem Ruf zum Gebet und bedeckte einen wie eine Abaya , während man den restlichen Tag absolvierte. Er war in jedem Wort, jedem Gedanken und jeder Tat eines frommen Muslims. Und er war hier, in dieser Gemeinschaft verschleierter Frauen im Herzen des Nedschd.
    Plötzlich spürte sie die ersten heftigen Gewissensbisse. Sie überfielen sie ohne die geringste Vorwarnung, wie ein Sandsturm. Indem sie mit Israelis und Amerikanern gemeinsame Sache machte, sagte sie sich praktisch von ihrem Glauben als Muslima los. Sie war eine Abtrünnige, eine Ketzerin, und auf Ketzerei stand die Todesstrafe. Eine Strafe, die diese hier versammelten verschleierten gelangweilten Frauen zweifellos gebilligt hätten. Ihnen wäre nichts anderes übrig geblieben, denn hätten sie gewagt, sich zu Nadias Verteidigung zu erheben, hätten sie ihr Schicksal geteilt.
    Ihre Schuldgefühle verschwanden rasch wieder und wurden durch Angst ersetzt. Um sich dagegen zu wehren, dachte sie an Rena, ihren Leitstern. Und sie überlegte sich, wie passend es war, dass ihr Verrat sich hier in der heiligen Landschaft Nedschd, in der tröstenden Umarmung dieser verschleierten Frauen ereignen würde. Und falls sie nachträglich Bedenken wegen des von ihr eingeschlagenen Weges hatte, war es dafür jetzt zu spät. Denn durch die halb offene Zeltklappe konnte sie Ali, den bärtigen Talib , in seiner kurzen salafistischen Thobe aus der Wüste kommen sehen. Es wurde Zeit für ein ruhiges Gespräch unter vier Augen mit dem Scheich. Danach würde, wenn Allah wollte, der Regen kommen, und alles würde vorbei sein.

43
    N EDSCHD , S AUDI -A RABIEN
    Sie folgte dem Talib am Rand des Wadis entlang in die Wüste. Hier gab es keinen richtigen Weg, sondern nur einen Trampelpfad als Überbleibsel einer alten Karawanentrasse, die hier vorbeigeführt hatte, lange bevor der Nedschd jemals von einem Prediger namens Wahhab oder sogar von einem Händler aus Mekka namens Muhammad gehört hatte. Der Talib hatte keine Taschenlampe bei sich, er brauchte keine. Ihren Weg erhellten Myriaden von weiß funkelnden Sternen am Himmelszelt und der Hilal -Mond, der über einem fernen Felsturm schwebte wie ein Halbmond auf dem höchsten Minarett der Welt. Nadia trug ihre hochhackigen Pumps in einer Hand und raffte mit der anderen den Saum ihrer schwarzen Abaya hoch. Die Luft war eisig kalt geworden, aber der Boden unter ihren

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